Seite:Tschin-Fo und Tschin-Li.pdf/2

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Tschin-Fo und Tschin-Li. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 34 , S. 270–271

Tschin-Fo und Tschin-Li.
Ein chinesisches Märchen von W. Kabel.
(Nachdruck verb.)

Tschin-Fo besaß dicht am Flusse ein großes Stück Ackerland und eine Hütte, außerdem Tschin-Li, ein Weib, das gut für ihn sorgte. Tschin-Fo hatte demnach allen Grund, glücklich und zufrieden zu sein. Aber die Götter beneideten ihn um seine Herzensfröhlichkeit. Drei Jahre hintereinander ließen sie den Fluß über die Ufer treten, so daß die Ernte immer wieder von den gelben Fluten vernichtet und fortgeschwemmt wurde. Tschin-Fo war bettelarm geworden. Niemand lieh ihm mehr den zur Aussaat nötigen Reis, und da er auch die Steuern nicht bezahlen konnte, kamen die Leute des Kaisers und trieben ihn mit seinem Weibe aus der Hütte hinaus. In dieser Not beschloß er, in die Fremde zu wandern. Tschin-Li aber wollte sich bei einem reichen Herrn als Magd verdingen, bis ihr Mann mit seinen Ersparnissen zurückkehrte und sie wieder eine Hütte und ein Feld erwerben könnten.

Nach einem schmerzlichen Abschied trennten sich die Gatten. Tschin-Fo fand in dem fremden Lande bald guten Verdienst, und da er sparsam lebte und nach Möglichkeit zurücklegte, hatte er bald eine kleine Summe zusammen. Da gedachte er das Geld seiner Frau zu senden, damit sie sich das Leben erleichtern könnte. Er fragte einen Landsmann, der mit ihm zusammen arbeitete, wie er das Geld wohl am besten in die Heimat schicken könne.

Der Landsmann war ein Betrüger. Er sagte, daß er alles nach Tschin-Fos Wunsch besorgt würde, nahm das Geld an sich und behielt es. Dem vertrauensseligen Fo aber erzählte er, das Geld sei längst unterwegs. Monate vergingen. Wieder hatte Fo eine Summe erspart, die er abermals dem falschen Freunde zur Beförderung anvertraute. Dieser behielt sie wie die erste für sich, zeigte aber einige Zeit darauf Tschin-Fo einen Brief, der angeblich von Tschin-Li herrührte. Er las dem des Lesens unkundigen Fo das Schreiben vor, in dem die Frau ihren Gatten aufforderte, fleißig weiter zu erwerben. Sie wolle alles Geld gut aufbewahren.

So verflossen mehrere Jahre. Der brave, nichtsahnende Fo hatte dem listigen Landsmann immer wieder alles ausgehändigt, was er nur zurücklegen konnte. Hoffte er doch, später in der Heimat seine Schätze wiederzufinden. Bisweilen waren auch Briefe von Tschin-Li eingetroffen, in denen jedoch nie etwas davon stand, daß Fo endlich zu ihr zurückkehren solle. Trotzdem schöpfte der so schwer Betrogene keinen Verdacht.

Wieder gingen Jahre dahin. Da zogen die Pestdämonen durch das fremde Land, und die Menschen starben in Scharen dahin. Auch den falschen Freund Tschin-Fos ereilte das Geschick. Dieser pflegte ihn bis zum letzten Augenblick. Da regte sich das Gewissen in dem Sterbenden. Er beichtete Tschin-Fo, wie schmählich er ihn hintergangen hatte, und bezeichnete ihm auch die Stelle, wo sein erspartes Geld und dasjenige Fos vergraben lag. Als er tot war, ließ Tschin-Fo den Leichnam einbalsamieren, nähte ihn in Häute ein, kaufte ein Packpferd, lud die Leiche auf und schloß sich einer Karawane an, die nach der Heimat zog. So erfüllte er die letzte Bitte des Verstorbenen, in heimischer Erde bestattet zu sein.

***

Tschin-Li hatte auf diese Weise all die langen Jahre auch nicht ein einziges Mal Nachricht von ihrem Gatten erhalten. Sie glaubte ihn längst tot, und da Liang-Sun, dem sie als Magd immer treu gedient hatte, sie zu seinem Weibe machen wollte, gab sie nach einigem Zögern seinen Bitten nach. Aber sie konnte trotzdem Tschin-Fo nicht vergessen, besonders da ihr zweiter Gemahl sie mehr wegen ihrer Tüchtigkeit denn aus Liebe geheiratet hatte.

Tschin-Fo langte nach einer Reise von mehreren Monaten in der Heimat an. Zunächst suchte er den Ort auf, an dem der in der Fremde dahingeschiedene Landsmann bei seinen Ahnen beerdigt sein wollte. Als er diese fromme Aufgabe erledigt hatte, begab er sich zu dem Manne, bei dem Tschin-Li damals vor Jahren ein Unterkommen gefunden hatte. Er fragte nach seiner Frau. Jener aber wies ihm barsch die Tür. Erst von Nachbarn erfuhr er, daß Tschin-Li des Mannes Weib geworden war. Traurig ging er zum Richter und trug diesem die Sache vor.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Tschin-Fo und Tschin-Li. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 34 , S. 270–271. Greiner & Pfeiffer in Stuttgart, Delmenhorst 1916, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tschin-Fo_und_Tschin-Li.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)