Tschin-Fo und Tschin-Li

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Tschin-Fo und Tschin-Li
Untertitel: Ein chinesisches Märchen
aus: Illustriertes Sonntags-Blatt, Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt. Nr. 34, S. 270–271
Herausgeber: Greiner & Pfeiffer in Stuttgart
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1916
Verlag:
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Delmenhorst
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Erschien fast wortgleich auch als Die Geschichte der „Frau mit den zwei Männern“ in: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 217–220
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[270]
Tschin-Fo und Tschin-Li.
Ein chinesisches Märchen von W. Kabel.
(Nachdruck verb.)

Tschin-Fo besaß dicht am Flusse ein großes Stück Ackerland und eine Hütte, außerdem Tschin-Li, ein Weib, das gut für ihn sorgte. Tschin-Fo hatte demnach allen Grund, glücklich und zufrieden zu sein. Aber die Götter beneideten ihn um seine Herzensfröhlichkeit. Drei Jahre hintereinander ließen sie den Fluß über die Ufer treten, so daß die Ernte immer wieder von den gelben Fluten vernichtet und fortgeschwemmt wurde. Tschin-Fo war bettelarm geworden. Niemand lieh ihm mehr den zur Aussaat nötigen Reis, und da er auch die Steuern nicht bezahlen konnte, kamen die Leute des Kaisers und trieben ihn mit seinem Weibe aus der Hütte hinaus. In dieser Not beschloß er, in die Fremde zu wandern. Tschin-Li aber wollte sich bei einem reichen Herrn als Magd verdingen, bis ihr Mann mit seinen Ersparnissen zurückkehrte und sie wieder eine Hütte und ein Feld erwerben könnten.

Nach einem schmerzlichen Abschied trennten sich die Gatten. Tschin-Fo fand in dem fremden Lande bald guten Verdienst, und da er sparsam lebte und nach Möglichkeit zurücklegte, hatte er bald eine kleine Summe zusammen. Da gedachte er das Geld seiner Frau zu senden, damit sie sich das Leben erleichtern könnte. Er fragte einen Landsmann, der mit ihm zusammen arbeitete, wie er das Geld wohl am besten in die Heimat schicken könne.

Der Landsmann war ein Betrüger. Er sagte, daß er alles nach Tschin-Fos Wunsch besorgt würde, nahm das Geld an sich und behielt es. Dem vertrauensseligen Fo aber erzählte er, das Geld sei längst unterwegs. Monate vergingen. Wieder hatte Fo eine Summe erspart, die er abermals dem falschen Freunde zur Beförderung anvertraute. Dieser behielt sie wie die erste für sich, zeigte aber einige Zeit darauf Tschin-Fo einen Brief, der angeblich von Tschin-Li herrührte. Er las dem des Lesens unkundigen Fo das Schreiben vor, in dem die Frau ihren Gatten aufforderte, fleißig weiter zu erwerben. Sie wolle alles Geld gut aufbewahren.

So verflossen mehrere Jahre. Der brave, nichtsahnende Fo hatte dem listigen Landsmann immer wieder alles ausgehändigt, was er nur zurücklegen konnte. Hoffte er doch, später in der Heimat seine Schätze wiederzufinden. Bisweilen waren auch Briefe von Tschin-Li eingetroffen, in denen jedoch nie etwas davon stand, daß Fo endlich zu ihr zurückkehren solle. Trotzdem schöpfte der so schwer Betrogene keinen Verdacht.

Wieder gingen Jahre dahin. Da zogen die Pestdämonen durch das fremde Land, und die Menschen starben in Scharen dahin. Auch den falschen Freund Tschin-Fos ereilte das Geschick. Dieser pflegte ihn bis zum letzten Augenblick. Da regte sich das Gewissen in dem Sterbenden. Er beichtete Tschin-Fo, wie schmählich er ihn hintergangen hatte, und bezeichnete ihm auch die Stelle, wo sein erspartes Geld und dasjenige Fos vergraben lag. Als er tot war, ließ Tschin-Fo den Leichnam einbalsamieren, nähte ihn in Häute ein, kaufte ein Packpferd, lud die Leiche auf und schloß sich einer Karawane an, die nach der Heimat zog. So erfüllte er die letzte Bitte des Verstorbenen, in heimischer Erde bestattet zu sein.

***

Tschin-Li hatte auf diese Weise all die langen Jahre auch nicht ein einziges Mal Nachricht von ihrem Gatten erhalten. Sie glaubte ihn längst tot, und da Liang-Sun, dem sie als Magd immer treu gedient hatte, sie zu seinem Weibe machen wollte, gab sie nach einigem Zögern seinen Bitten nach. Aber sie konnte trotzdem Tschin-Fo nicht vergessen, besonders da ihr zweiter Gemahl sie mehr wegen ihrer Tüchtigkeit denn aus Liebe geheiratet hatte.

Tschin-Fo langte nach einer Reise von mehreren Monaten in der Heimat an. Zunächst suchte er den Ort auf, an dem der in der Fremde dahingeschiedene Landsmann bei seinen Ahnen beerdigt sein wollte. Als er diese fromme Aufgabe erledigt hatte, begab er sich zu dem Manne, bei dem Tschin-Li damals vor Jahren ein Unterkommen gefunden hatte. Er fragte nach seiner Frau. Jener aber wies ihm barsch die Tür. Erst von Nachbarn erfuhr er, daß Tschin-Li des Mannes Weib geworden war. Traurig ging er zum Richter und trug diesem die Sache vor.

[271] Der Richter hörte ihn freundlich an und bestellte ihn für den nächsten Vormittag wieder zu sich.

Als Tschin-Fo zur bestimmten Zeit bei dem Richter erschien, fand er dort auch Liang-Sun und Tschin-Li vor. Diese brach bei seinem Anblick in Tränen aus. Aber Liang-Sun fuhr sie hart an, so daß ihre Klagen bald verstummten und sie den Totgeglaubten nicht mehr anzuschauen wagte. Der Richter fragte darauf zuerst Tschin-Fo, ob er sein Weib zurückverlange. Dieser bejahte eifrig. Nun wurde Liang-Sun gefragt, ob er Tschin-Li herausgeben wolle. Liang-Sun weigerte sich hartnäckig. Der Richter sann einen Augenblick nach und befahl dann den beiden Männern, nach zwei Tagen wiederzukommen. Er wolle sich den Fall bis dahin überlegen. Tschin-Li aber ließ er, da sie vorerst keinem von beiden angehörte, von seinen Leuten in das Gefängnis abführen. Dort sollte sie bei guter Verpflegung bis zum endgültigen Urteilsspruch bleiben.

Die Gegner stellten sich, nachdem die zwei Tage um waren, wieder vor dem Richter ein. Dieser empfing sie mit betrübter Miene und machte ihnen unter vielen Entschuldigungen die Mitteilung, daß Tschin-Li sich am Morgen im Gefängnis aus Gram erhängt habe. Er führte die beiden Männer auch bis zur Tür des Gefängnisses und zeigte ihnen den Leichnam Tschin-Lis, der in dem halbdunklen Raume noch in der Schlinge hing. Dann schloß er die Tür wieder ab und reichte Liang-Sun den Schlüssel hin.

„Du hast Tschin-Li bis zuletzt als dein Weib betrachtet. Hier nimm den Schüssel. Lasse sie abholen und gib ihr ein Begräbnis nach ihrem Verdienst.“

Aber Liang-Sun streckte die Hand nicht nach dem Schüssel aus.

„Ich habe es mir überlegt“, sagte er, „Tschin-Fo hat als ihr erster Gatte doch mehr Anrecht auf sie. Mag er sie daher auch begraben.“

Der Richter rief seinen Schreiber herbei und ließ diese Äußerung feierlich zu Papier bringen. Dann wandte er sich an Tschin-Fo.

„Tschin-Li ist nunmehr dein. Willst du sie also als ihr Gatte bestatten lassen?“

Tschin-Fo griff eilig nach dem Schlüssel. Antworten konnte er nicht. Der Schmerz machte ihn stumm.

Da befahl der Richter ihm, die Tür des Gefängnisses sofort wieder aufzuschließen. Tschin-Fo gehorchte. In der Mitte des Raumes stand Tschin-Li, lebend und gesund. Unter Freudentränen umarmte sie jetzt den geliebten, ihr wiedergegebenen Gatten.

Zu Liang-Sun aber sprach der Richter: „Du hast die Probe nicht bestanden. Meine List ist geglückt. Ich hatte alle Vorkehrungen getroffen, daß es so scheinen mußte, als ob Tschin-Li wirklich tot in der Schlinge hing. Die Tote wolltest du nicht, also gebührt dir auch nicht die Lebende.“

Tschin-Fo und Tschin-Li aber lebten in sorglosem Glück noch viele Jahre.