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Der neudeutsche Stil
„Ah – die Herren sprechen geistreich aus dem Munde?“
Käthe Erlholz

Leser mit einem ausrasierten Vollbart besinnen sich vielleicht auf Leo Berg, den ungewöhnlich gebildeten und begabten Kritiker aus dem Anfang des Jahrhunderts, der unter anderm einen grimmen Kampf mit Wilhelm Bölsche, dem Pächter des Liebeslebens in der Natur, geführt hat. Dem warf er rechtens neben der Verlogenheit seiner Embryonal- und Ei-Lyrik auch seinen Stil vor, oder vielmehr: natürlich seinen Stil vor, da ja eins aus dem andern, der Stil aus der Gesinnung hervorgegangen war. Beschäftigt man sich heute mit vergilbten Büchern und Tagesbroschüren des fin de siècle, so muten einen die Terminologie, das Vokabularium, die Ausdrucksweise unsäglich komisch an. Kunst bleibt. Mode von gestern ist lächerlich.

Manche ist schon heute von gestern. Da bekomme ich ein Buch zugeschickt: „Girlkultur“ von Fritz Giese; das Buch trägt den Untertitel: „Vergleiche zwischen amerikanischem und europäischem Rhythmus und Lebensgefühl.“ Der Verfasser, ein beachtenswerter, sauberer Schriftsteller, der gute Bücher geschrieben hat, so ein mustergültiges über Kinderpoesie, hat dieses Mal in einen bösen Topf mit Schleim gegriffen: in den modernen Literatenjargon.

Aber er ist einer von Hunderten. Nachdem ich mir die schönen und interessanten sechsundfünfzig Photographien angesehen habe, fange ich an zu lesen und erkenne einen Stil, der einer ganzen modischen Schule gemeinsam ist, und ich lese und lese und gebe es, erschöpft, dreiundreißigmal wieder auf

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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Berlin: Ernst Rowohlt, 1928, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_205.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)