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II. Die zweite, schwierigere und bedeutungsvollere Hauptfrage des Limulus-Problems ist die, ob wirklich, wie es die Lankestersche Theorie will, die Landarachniden nun auch von den meeresbewohnenden Merostomen abstammen. Nach unserer Ansicht sind vielmehr die landbewohnenden Arachniden die ursprunglicheren Formen, von denen die wasserbewohnenden Merostomen abstammen. Es hat auf alle Fälle ein Mediumwechsel stattgefunden und wir stehen vor der wichtigen Frage: kann man im allgemeinen, wenn ein Mediumwechsel stattgefunden hat, am Bau der Tiere entscheiden, ob dieser Wechsel vom Land- zum Meeresleben oder in umgekehrter Richtung stattgefunden hat? Dies ist jedenfalls oft möglich. Bei den Walen z. B. zeigen verschiedene Organe uns, daß sie zum Meeresleben übergegangene Nachkommen von Landtieren sind. Bei den Merostomen liegen die Verhältnisse leider viel weniger klar, aber doch zeigen auch hier einige Organe uns die Richtung, in welcher der Mediumwechsel stattgefunden hat.

Mit an erster Stelle müssen die Atmungsorgane dem Medium angepaßt worden sein. Wir finden hier tatsächlich Unterschiede im Bau, die mit dem Medium im engsten Zusammenhange stehen. Die Merostomen haben auf der Hinterseite der Blattfüße ziemlich offen liegende und vom Meereswasser frei umspülte Kiemen. Diese bestehen aus zahlreichen, großen Lamellen (Limulus), damit eine genügend große Oberfläche für den Gasaustausch mit dem sauerstoffärmeren Meereswasser vorhanden ist. Die Skorpione, gewiß die den Merostomen nächststehenden Landarachniden, haben unter den Sterniten verborgen liegende, durch verhältnismäßig enge Stigmata (Fig. 1 A, S) für die Luft zugängliche, lungenartige Buchtracheen, welche die gleichen typischen Lamellen aufweisen; nur sind diese sehr viel kleiner, da für die Atmung in der sauerstoffreicheren Luft eine wesentlich kleinere Oberfläche genügt.

Die Atmungsorgane stimmen im Aufbau aus zahlreichen Lamellen (bis 150 bei Limulus und 120 beim Skorpion) überein[1], und da sie auch an der Ventralseite der gleichen abdominalen Segmente gefunden werden, muß eine Homologie angenommen werden. Die Erklärung der Unterschiede in Lage und Bau wird im verschiedenem Medium gefunden werden müssen.

Nach Lankester sind die Blattfüße der Merostomen echte Gliedmaßen, auf welchen, wie bei vielen Crustaceen, die Kiemen befestigt


  1. Bei den Gigantostraken kennen wir den Bau der Atmungsorgane noch nicht, nur die Stellen, wo sie lagen. Es liegt aber kein Grund vor, einen wesentlich abweichenden Bau anzunehmen.
Empfohlene Zitierweise:
Jan Versluys: Die Abstammung und Differenzierung der Gigantostraken. Gebrüder Borntraeger, Berlin 1923, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Versluys_Abstammung_und_Differenzierung_Gigantostraken.djvu/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)