Frauen den Kopf verdrehte, sagte: „Keines von beiden. Mir erschien Ihr Betragen nicht anders als die sonderbare Laune eines sehr eigenartigen Geschöpfs.“
Ohne sich davon Rechenschaft zu geben, wußte er ganz instinktiv jeder Frau gegenüber gerade den Ton anzuschlagen, den sie am liebsten hörte.
„Laune!“ Sie zuckte die Achseln, aber offenbar nicht unzufrieden. „Laune, meine Vorliebe für Gräber ist keine Laune, es ist eine Leidenschaft. Mich dauern die armen verlassenen Toten, die keine Toten sind für mich.“
Zdenko stutzte. Hatte er eine durchtriebene Kokette und Komödiantin oder eine Wahnsinnige vor sich? Doch ob Komödiantin, ob Irrsinnige, jedenfalls war sie ein Weib von seltenem, wenn auch krankhaftem Liebreiz.
Nach einer kleinen Pause fragte er: „Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, daß es keine Toten für Sie gibt, Gräfin?“ Man nannte die Mädchen immer einfach Gräfin, weil der Titel Marchesina etwas zu Exotisches hatte für eine österreichische Konversation.
„Was ich damit meine?“ gab sie ihm zur Antwort. „Ich hätte einfach sagen sollen, daß ich die Scheidewand, welche im allgemeinen zwischen den Toten und den Lebenden besteht, nicht kenne. Ich sehe alle Toten wieder. Sie haben nicht dieselbe Scheu vor mir wie vor andern Menschen. Manchmal
Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 1, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)