denke ich mir, ich mute sie fast wie ihresgleichen an.“
Sie lachte ein Lachen, das an das Knistern von dürren Blättern und auch an das Zusammenklirren von Eisstücken erinnerte. Den jungen Mann überlief es kalt.
„Denken Sie,“ fuhr sie fort, „jahrelang meinte ich von einem Tag zum andern, ich müßte sterben! Von Kindheit an war ich krank. Man fürchtete die Schwindsucht für mich. Dann später wurde mir besser. Jetzt glaube ich fast, daß ich ganz gesund werden könne, aber nur unter der Bedingung, daß ich das Leben lieben lernte! Bis jetzt war mir meine Existenz so schrecklich gleichgültig.“ Dann, viel leiser, so leise, daß er seine Ohren anstrengen mußte, um sie zu verstehen, sagte sie: „Ich weiß, derjenige, der mich das Leben lieben lehrt, der macht mich lebendig – oder …“ sie stockte.
„Oder?“ – er lehnte sich etwas fester auf den Klavierdeckel und beugte sich weiter zu ihr vor – „oder?“ wiederholte er. Aber sie antwortete nicht. Sie hatte von neuem angefangen zu spielen, leise, träumerisch, aufreizend – und plötzlich … Zdenko erschrak, unter ihren Fingern glitten Töne hervor, die noch niemand einem Klavier entlockt hatte, aufreizend, klagend und doch wieder süß verheißend wie die Stimme des Frühlingswindes, wenn er über die
Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 1, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/126&oldid=- (Version vom 1.8.2018)