Der Zettel enthielt die Worte:
„Kann ich Sie sprechen? Nur einen Augenblick!
Emma Ginori.“
Sie standen einander gegenüber, Emma und der junge Offizier. Seine Haltung hatte etwas Schroffes, Abweisendes, fast Drohendes, wie die eines Menschen, der sich im Bewußtsein ungenügender Kräfte zu einem Kampf vorbereitet, ihre Haltung hingegen war sehr ruhig und von einer geradezu entwaffnenden Bescheidenheit.
„Sehen Sie mich nicht so finster an,“ sagte sie in ihrer gedämpften gleichmäßigen Stimme, „es ist mir schwer genug gefallen, herzukommen.“
Bis dahin hatte sie mit gesenkten Augen gesprochen, jetzt hob sie den Kopf, betrachtete ihn aufmerksam mit dem Blick, mit dem ein kundiges Auge eine schwierige Handschrift liest.
„Sie wünschen?“ fragte er nach einer Weile fast herausfordernd. Das unheimliche Schweigen dauerte ihm zu lange.
„Um das, was ich wünsche, handelt es sich gar nicht,“ entgegnete sie ihm bitter, „es handelt sich darum, einer Sterbenden den Todeskampf zu erleichtern.“
Er erwiderte nichts und starrte zu Boden.
„Einer Sterbenden, der Sie das Herz gebrochen haben,“ sagte Emma sehr leise.
Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 2, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/200&oldid=- (Version vom 1.8.2018)