Diesmal fuhr er auf. „Gräfin!“ rief er.
„Werden Sie nicht heftig,“ entgegnete sie immer in derselben aufreizenden, gemessenen Art. „Sie wissen es ja, daß ich recht habe. Jeder, der Sie mit ihr zusammen gesehen hat, weiß es. Meine Schwester hat Ihnen gefallen, sie gefällt einem jeden, sie muß jedem gefallen. Aber ihr Herz war bisher fest verschlossen. Da sind Sie gekommen. Sie hat Ihnen gehört vom ersten Augenblick, und Sie haben sich gebärdet, als ob Sie das Ihnen bescherte Glück zu schätzen wüßten. Da, in einer Sekunde war alles vorüber! Sie haben sie von sich gestoßen, ohne Rücksicht, und der Scham und Verzweiflung preisgegeben.“
Eine lange Pause folgte. Sie schien zu warten, daß er etwas erwidere, sich verteidigen werde. Aber was hätte er erwidern, wie sich verteidigen sollen?
Er schloß die Lippen fest aufeinander und runzelte die Stirn. Da trat Emma ganz nahe an ihn heran, und ihm mit ihrem geraden Blick fest in die Augen sehend, rief sie: „Meine Schwester liegt im Sterben! Hören Sie, im Sterben, und das haben Sie gethan!“
„Gräfin, ich bedaure unendlich, was geschehen ist,“ erwiderte er mit zugeschnürter Kehle, „aber zu ändern ist daran nichts mehr. Ihre Schwester wird diese Episode vergessen, wie ich sie zu vergessen hoffe, und das Leben wird von neuem für sie beginnen.“
„Für meine Schwester wird kein neues Leben
Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 2, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)