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Säulen von schönen Formen, die dazu eine Höhe von über hundert Metern erreichten. Mit großer Schnelligkeit verändern sie ihren Standort und stehen dann oft längere Zeit, ehe sie sich auflösen.

Der intelligente Sergius, der vom Morgen an Wein getrunken hatte, indem er ein so gemeines Getränke wie Wasser verschmähte, hatte schließlich doch den ganzen Schlauch Wasser ausgetrunken; unter den senkrecht fallenden Sonnenstrahlen litten wir deshalb bald Durst. Da sich vor uns ein schönes Flüßchen hinschlängelte, beeilten wir uns, dasselbe zu erreichen. Eine Luftspiegelung! Es war kein Fluß, sondern nur das Wiederspiegeln der großen Salzlachen, die die ganze Ebene bedecken. Eine Luftspiegelung ist kaum verschwunden, als schon wieder eine neue folgt; auf diese Weise erduldeten wir in Wirklichkeit Tantalusqualen.

Endlich erreichen wir aber einen wirklichen Fluß, den Sunus-Tschaï, einen Zufluß des Kisil-Tschaï (roter Fluß); sofort stürzen sich die Pferde in denselben und saufen mit großer Gier. Ich sprang vom Pferde in den Fluß, um ebenfalls meinen Durst zu löschen; aber das Wasser ist salzig. Das kann man jedenfalls Unglück nennen.

Der Sunus-Tschaï (oder Fluß von Sunus) fließt bei Marand zwischen den Salzbergen hin, denen er auch seinen großen Salzgehalt verdankt. Übrigens findet sich hier überall Salz. Oberhalb Etschmyadsin bilden die Hügel von Kulpi eine einzige Masse Steinsalz, das in früheren Zeiten gegraben wurde; hinter Choï finden wir noch diese Hügel. Alle Wasserflächen in Persien werden salzig, und diejenigen, die im Sommer austrocknen, lassen nur einen nackten, steinigen Boden zurück, der aber mit einer Salzkruste bedeckt ist.

Endlich erreichten wir Evoglu gegen zwei Uhr.

Evoglu ist ein kleines Dorf, das auf dem linken Ufer des Kisil-Tschaï erbaut ist und sich terrassenförmig an dem Seitabhang des Hügels abstuft. Von unserer Wohnung aus, die ganz oben im Dorfe ist, schweift der Blick über die weite Ebene, die ganz versengt erscheint. Einige Gruppen Bäume bilden die einzigen grünen Flecke. Das Dach unseres Nachbarhauses, das uns zugänglich war, diente als Spazierplatz.

Beim herrlichen Mondenschein unterhielten wir uns mit den Alten des Dorfes, die eigens herzukamen, um die „vornehmen Fremden“ zu ehren. Alle beklagten sich einstimmig über die Vernachlässigung, die sie von der Regierung erfahren; ohne Umschweife reden sie und legen ihren Gefühlen gar keinen Zwang auf. Da sie sich gewöhnlich in den Händen gewissenloser Beamten befinden, so sprechen sie es ungeniert aus, daß sie den Tag erwarten, wo Rußland auch dieses Land annektieren wird. Diese Freiheit im Sprechen versetzte uns in großes Staunen.

Der tapfere Brigant Kerim war der Held des Tages; das ganze Land zitterte vor ihm. Der Vorsteher des Ortes malte die Gefahren unserer Reise mit den lebhaftesten Farben. Wenn man ihm Glauben schenkte, würde man nicht reisen, ohne wenigstens von einem Regiment Soldaten begleitet zu sein. Aber da aller Wahrscheinlichkeit nach dieses Regiment aus den Leuten von Evoglu sich zusammensetzen sollte, so merkten wir schon eine kleine Rechnung auf Trinkgeld. Übrigens glaubten wir gar nicht an Räuber und noch weniger an den Mut der vorgeschlagenen Eskorte. Im Falle eines räuberischen Angriffes hatten wir an unsern zwei Zabtiehs

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/100&oldid=- (Version vom 1.8.2018)