Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/300

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zurückzukehren; denn die seltenen europäischen Reisenden, die während des Mittelalters in diese Gegenden eindrangen, Plan-Carpin, Rubruquis, Marco Polo und einige Ordensleute kamen dazu, den Anfang einer Union zwischen den Nestorianern und Rom herzustellen. Der Katholikos Jaballah III. schickte im Jahre 1304 sein Glaubensbekenntnis nach Rom. Aber in dieser Periode riß in der nestorianischen Kirche ein Mißbrauch ein, der für dieselbe verderblich wurde. Die Patriarchenwürde wurde erblich und ging von dem Oheim auf den Neffen über, wurde sogar unter verschiedene Kinder und Unwürdige verteilt.[1] Im Jahre 1551 wollten die Nestorianer diesem Unfug ein Ende machen und erwählten einen Patriarchen, den sie auch nach Rom schickten, damit er dort die Weihe empfange. Der Erwählte, Johann Sulaka mit Namen, wurde bald von seinen Gegnern ermordet; seine Nachfolger waren zuerst der Union mit Rom günstig, fielen aber schließlich in das Schisma zurück, und einer von ihnen stellte die Erblichkeit der Würde wieder her. Dieser Familie gehört noch Mar Schimun, der Patriarch der Nestorianer an, der in Kotschannes bei Dschulamerik (auch „Giulamork“ geschrieben) in dem Thale des Zab wohnt.

Unterdessen gab Rom die aufgenommene Verbindung mit den Chaldäern nicht daran; aber die Anstrengungen führten selten zu dem gewünschten Erfolg, und man befand sich bald einer Reihe von Patriarchen, teils unierten, teils schismatischen gegenüber. Am Ende des letzten Jahrhunderts gab es dreierlei Arten Chaldäer: Die eine, repräsentiert durch den Patriarchen von Dschulamerik, war ganz nestorianisch und besteht noch heute,[2] die zweite, zuerst katholisch, wurde dann schismatisch, es war der Anhang des Elias; die letzte endlich, die Anhänger Josephs, war im Augenblick des Schismas Elias gegründet worden. Im Jahre 1781 wurde der letzte Nachfolger des Elias, Mar Hanna, katholisch, so daß es also zwei katholische Patriarchen gab. Als der Nachfolger Josephs, Joseph VI. 1830 starb, wurde Mar Hanna als alleiniger katholischer Patriarch bezeichnet; er starb 1838, und von da an hörte die Erblichkeit dieser Patriarchenwürde endgültig auf.[3] Der damalige Patriarch, Elias Abolianan, wohnte in Mosul.

  1. Ohne Zweifel verbreiteten in dieser Zeit die Patriarchen zu ihren Gunsten eine Legende die auch, trotzdem sie sehr absurd ist, nicht ohne Interesse ist.
    Petrus schreibt in seinem ersten Briefe (V. 13): „Es grüßt euch die miterwählte Kirche in Babylon.“ Dieses Babylon ist hier wie in der geheimen Offenbarung, wenn es eine Stadt bezeichnet, immer für Rom gesetzt worden. Von dem alten Babylon waren zur Zeit Petri nur mehr Schutthaufen übrig. Die Nestorianer bemächtigten sich des Textes und legten ihn folgendermaßen aus: Der hl. Petrus war verheiratet, und seine Familie, die in Jerusalem geblieben war, wurde durch die Verfolgung vertrieben. Sie floh nach Babylon, das heißt, nach Baghdad. Von da an wählte man aus ihrer Mitte immer den chaldäischen Patriarchen aus Verehrung des heiligen Petrus, so daß Mar Schimun ein direkter Nachkomme des heiligen Petrus ist. Wenn die patriarchalische Kirche auf einen Felsen gegründet ist, so muß auch von Mar Schimun das Versprechen des Heilandes gelten: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Die ganze Legende hat bloß den Zweck, die Erblichkeit der Patriarchenwürde zu heiligen, eine Einrichtung, die aber jeder christlichen Tradition schnurstracks zuwider ist.
  2. In dem Augenblick, da das Buch gedruckt wurde, kam von verschiedenen Seiten die Nachricht einer großen Bewegung betr. Rückkehr der Nestorianer zu der katholischen Kirche. Es ist schwierig, ein Resultat hiervon vorherzusagen. Wenn die Motive aufrichtig sind und das Ganze nicht den Zweck hat, die nestorianische Lehre weiter zu verbreiten, so ist diese Bewegung nicht zu unterschätzen
  3. Siehe Martin, La Chadée.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/300&oldid=- (Version vom 1.8.2018)