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Es fällt auch auf, wie der Bestand der Stiftsgesellschaft sich ändert. Das Kapitel wird immer plebejischer, sodaß z. B. 1475 der Propst von St. Peter den Domherren nicht vornehm genug ist, um ihnen die Absolution des Papstes zu vermitteln. Es wird auch in starkem Maße unbaslerisch. Päpstliche Provisionen und erste Bitten des Königs, der Königin oder des Bischofs von Basel, aber auch normale Ernennungen bringen zuweilen völlig unbekannte Figuren herein. Diesem fremden Wesen gegenüber vertritt die Kaplanenschaft vielfach die angesessenen Familien der Parochie.

Die Verschiedenheit des Bestandes, neben der Ungleichheit in Rechten und Leistungen, war natürlich von Einfluß auf das Verhalten der beiden Gruppen zu einander. In der Enge der Stiftswelt, wo diese sich so ungleichen Menschen zusammengedrängt und durch feste Formen heiliger Begehungen an einander gebunden ihre Tage verbringen, haben wir ein sonderbares Treiben vor uns; was uns daraus entgegentönt, ist fast nur Streit und Mißstimmung. Daher die Ordnungen und Verträge, die dies Leben erträglich machen sollen. Daher aber auch die Vorwürfe der Chorherren, daß sie durch die Kapläne beleidigt und bei den Laien verlästert würden. Daher gelegentlich auch ein Einschreiten des Kapitels gegen Kapläne, wie 1499 gegen Heinrich Rink, der den Gehorsam verweigerte, 1510 gegen den alten (canus griseus et decrepitus) Bernhard Stieff, der die Kanoniker im Chor nach der Complet laut beschimpfte. Namentlich das Drauslaufen und Wegbleiben dieser für den Gottesdienst doch unentbehrlichen Leute gab wiederholt zu reden, führte zu Zitationen vor Kapitelssitzung u. dgl. m.

Und doch nahmen es die Chorherren mit ihrer eigenen Residenzpflicht sehr wenig ernst. Sogar im Zusammenhänge der neuen Reformversuche. Verwunderlich klingt, was dabei ausgesprochen wird: nach altem Herkommen des Stifts haben die Kanoniker das Recht, während eines halben Jahres abwesend zu sein und in dieser Zeit zwar nicht die Präsenzgelder, aber das Corpus ihrer Pfründen weiter zu beziehen. Außerdem aber können sie noch sechs Wochen Ferien machen für Reisen Badekur oder andere Geschäfte ohne Verkürzung ihres Anteils an den täglichen Distributionen; 1480 werden diese sechs Wochen Ferien sogar auf zehn vermehrt.

So fühlen sich die Stiftsherren vor allem als Pfründeninhaber und treiben nur nebenbei noch Chorgeschäfte. Der angesehene Johann Helmich hält sich wiederholt in Köln auf, wo er zu Aposteln Dekan ist; Augustin Lutenwang sitzt auf seiner Pfarrei in Kaufbeuren und bezieht die Gefälle des Basler Kanonikats usw. usw. Auffallend ist namentlich das Benehmen

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/305&oldid=- (Version vom 4.8.2020)