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Ereignis gegebene Referate sind, in der Absicht einer Ergänzung oder Erläuterung der Akten verfaßt.

Andrer Art ist die spätere Periode. Ihre Geschichtschreibung sucht sich einen neuen Inhalt; an Stelle von Weltchronik u. dgl. tritt die Stadtgeschichte und die Lebensbeschreibung.

Wie beinah Alles, was geistige Tätigkeit in dieser Zeit ist, auf das große Konzilserlebnis zurückweist, so auch die Historiographie. Sie mag noch so befangen sein, so zeigt sie doch eine erst jetzt erwachende Kraft.

Mit Deutlichkeit sehen wir die mächtigen Ereignisse von 1438 und 1439 einen bescheidenen Menschen wie Appenwiler zum Chronisten machen. „Schinder und das Konzilium“ ist auch das große Motiv der jetzt in neuen Formen einsetzenden Kanzleiannalistik; das Gefühl der Erlösung aus Not und Gefahr gibt diesen Schreibern des Rates ein neues Bewußtsein ihrer Aufgabe. Und in derselben Stimmung, durch eine große Zeit aufgerüttelt, schreiben dreißig Jahre später die Kanzelisten Gerhard Mecking seinen Bericht über den Einfall Herzog Karls im Elsaß und Niklaus Rüsch seine Kriegshistorie, damit man des Geschehenen eingedenk sei und aus seiner Kenntnis die zur Überwindung künftiger Irrsale nötige Einsicht gewinne; aus der Vergangenheit soll man lernen, das Bessere zu erwerben und das Ärgere zu vermeiden, „denn by süßem sur und by surem süß erkannt werden mag“.

In gleicher Weise sind unter dem Drange der Zeit auch die frühesten privaten und von Laien geschriebenen Geschichtsbücher entstanden.

Zunächst die Chronik des Bäckermeisters Brüglinger. Inhaltlich von höchstem Werte, die Erzählung ein sorgfältiges Referat; aber ohne Charakteristik einzelner Personen, mit auffallend wenig Raisonnement. Der Wucht und Spannung der geschilderten Ereignisse gegenüber erscheint die ruhige Haltung des Schreibens nur als trocken philiströs.

Aber in denselben belebten Zeiten entstehen auch die beiden bedeutenden Werke, die als Chronik Henman Offenburgs und als anonyme Chronik von 1445 bekannt sind. Bis in die letzte Silbe ist Offenburgs Buch erfüllt von Eigenart. Dieser Autor steht lebendig und kräftig über seinem Stoff und interessiert durch sich selbst. Nichts Edles und nichts Großes zeigt sich uns dabei, aber etwas ganz und gar Echtes; um des Zweckes der Selbstapologie willen ist das Buch so persönlich gehalten, ist es so vibrierend von Leidenschaft, daß es nicht allein die schreibenden Mitbürger insgesamt beschämt, sondern in der nordischen Geschichtsliteratur jener Zeit überhaupt Wenig seines Gleichen hat.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 916. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/395&oldid=- (Version vom 4.8.2020)