Seite:Wackernagel Geschichte der Stadt Basel Band 2,2.pdf/403

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wird, daß viele Männer hier seien, die junge Eheweiber haben und dennoch buhlen, so erklärt auch Bürgermeister Bärenfels dies als eine stadtkundige Tatsache. Mit merkwürdigem Gleichklang, obwohl ein volles Jahrhundert auseinander, spotten 1382 der Koch Birin und 1492 die getaufte Jüdin über diese Stadt Basel, in der man eine unschuldige Jungfrau nur in der Wiege finde. Bis in die Schwankliteratur dringt die Geschichte vom reichen Basler Kaufmann, dessen Weib ihn, während er in Geschäften reist, mit einem Liebhaber betrügt.

Dies das eine Gebiet von vielen und das in einzelnen Erwähnungen am stärksten bezeugte. Und zu beachten ist, wie völlig es sich verträgt mit der scharfen städtischen Sittengesetzgebung selbst, die nicht mehr nur den Ehebruch und den Konkubinat, sondern jetzt seit den 1470er Jahren auch Buhlschaft und Unzucht aller Art mit ihren Strafen bedroht.

Daneben aber breitet sich in weitestem Umfange noch jede andre denkbare Zügellosigkeit. Die Bücher und Akten des Rates, die Kundschaften, die Gerichtsprotokolle usw. reden von einem Zustande, der noch über jene sexuellen Dinge hinaus den Behörden unaufhörlich zu tun gibt. Vom „unziemlichen Mutwillen“, von der „üppigen Freude“ an geht er bis zu Verwilderung, zu Frevel jeder Art, zu Rücksichtslosigkeit und Unfug, zu Streitsucht, zu schändlicher Roheit. In seiner Verbreitung hat dies Wesen kaum etwas Individuelles mehr für uns, nichts einem Stand oder einem bestimmten Moment ausschließlich Angehörendes. Tag um Tag und jede Nacht erleben solche Szenen, und der Rat ist unermüdlich. Mit seinen Mahnungen und Strafdrohungen bekämpft er Alles. Noch immer den Luxus, der sich bei Taufen Hochzeitsfesten Bestattungen ersten Messen usw. breit macht; aber auch das grobe Spiel, die Gotteslästerung mit großen unchristlichen Schwüren, die Entweihung der Feiertage, die Lascivität der engen und kurzen Kleider, das Nachtgeschrei, das nächtliche Unfugtreiben auf den Gassen, die üppigen Lieder, die Raufboldposituren des Degentragens „im Katzbalg“, das Tanzen im Freien usw.

Eine Überfülle von Kraft glüht und klingt in diesem Allem, und es fällt uns schwer, das prächtige Bild des Lebens nur im Schatten des obrigkeitlichen Tadels und Verbotes sehen zu sollen. Aber wir vernehmen auch den ganz persönlichen Unwillen ernster Männer bei diesem Treiben, in den Bußpredigten Heynlins und den bittern Invektiven Brants. Erregtheit und Steigerung überall, in den lauten Rufen, die den Zorn verkünden und eine Vergeltung drohen, wie in den unruhigen sorglichen Maßregeln des Rates, aber auch in all dem Unwesen selbst, das trotzig und in unhemmbar

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 924. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/403&oldid=- (Version vom 4.8.2020)