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Mitten in der Erregung eines gewaltigen politischen und sozialen Prozesses reifen Zustände und Meinungen, erneuern sich die Lebensformen.

Die Bedeutung dieser Kämpfe ist um so größer, weil sie nicht vereinzelt lokal geschehen, sondern Äußerungen einer universal tätigen Kraft sind; sie begegnen uns allenthalben.

Ihre Notwendigkeit oder ihre Berechtigung ist hier nicht zu prüfen. Aber wenn Beinheim schon Angesichts der Ereignisse der 1440er Jahre sagt, daß die Edeln geschickter und weiser seien als das gemeine Volk; wenn einige Jahrzehnte später in Akten von der Wichtigkeit der Reichen für Bestand und Gedeihen des Gemeinwesens gesprochen und jede Maßregel abgelehnt wird, die sie aus Basel vertreiben könnte; wenn von Außen herein Herren wie Peter von Hagenbach und Hans Friedrich von Reischach den zu Ratsherren gewordenen Schneidern und Schuhmachern und dem verpöbelten Stadtgericht ihre Verachtung zeigen; wenn Sebastian Brant darüber spottet, daß jeder Narr jetzt mitsprechen wolle; — so lebt in all diesen verschiedenartigen Reden doch gleichartig die Empfindung Dessen, was auf dem Spiele stehe: der Niedergang des Gemeinwesens in der dem ausschließlichen Zunftregiment eigenen Beschränktheit Gewöhnlichkeit und Schwäche.

Die Stadt hat nicht vermocht, den Adel an sich zu fesseln und ihr Interesse dauernd zu dem seinen zu machen; statt seiner haben die Zünfte in dem Basel beschiedenen Leben ihr Recht, aber auch ihre Verantwortung, indem sie die öffentliche Gewalt an sich reißen. Mit unwiderstehlicher Gewalt dringen sie zum Ziele und beseitigen, was im Wege steht: den alten Adel, aber noch leidenschaftlicher und gereizter die aus ihrem eigenen Kreis hervorgegangenen und vornehm gewordenen Machthaber. Knebels Schmähreden über die Sürlin und der Spottvers von den Mürli Sürli Tschekenpürli usw. sind läppisch; aber sie formulieren uns die Empfindungen der Masse.

In welcher Weise diese Kämpfe geführt werden und sich entwickeln, zeigen die Unruhen von 1479, der Bischoffische Revolutionsversuch von 1482, die andauernden Revisionsbestrebungen und Debatten in den Räten. Alles dies ist schon geschildert worden.

Es sind Kämpfe, die auf den Umsturz der Ratsverfassung und auf Beseitigung der seit Alters politisch Bevorrechteten gehen. Aber ihre Bedeutung ist allgemein.

Wir haben nicht nur an die Ausbildung der Administration, an die Erweiterung der Regierungstätigkeit zu denken. Die hierin wirkende Erstarkung von Staatsgefühl und Staatsbegriff äußert sich auch noch sonst.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 939. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/418&oldid=- (Version vom 4.8.2020)