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Seite:Walter Mackowsky Baudenkmäler.djvu/85

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lange Überlieferungen gestützte Kunst. Im Laufe der Zeiten gesammelte Erfahrungen und ein tüchtiges Können vererbten sich von Generation zu Generation; aus den Forderungen des täglichen Lebens heraus entwickelte sich eine Kunst, die, wie wir bei unseren Betrachtungen gesehen haben, in ihren räumlichen Grundgedanken und Stilformen der natürliche Ausdruck der Zeit war. Ein gut geschulter und solider Handwerkerstand trat dem Architekten unterstützend zur Seite, mit Gefühl und Verständnis für die gegenseitigen Leistungen ordnete sich einer dem anderen unter. So entstanden harmonische Gebilde von klarer und zweckbewußter Raumgestaltung und einer vollendeten Abgeglichenheit der Formen, die mit ihrer Umgebung gleichsam verwachsen erschienen und dem Auge des Beschauers eine innere Freude, einen ästhetischen Genuß gewährten.

Dieses Bild hat sich heute vollkommen verändert. Die Verschiebungen im sozialen und wirtschaftlichen Leben haben auf allen Gebieten bedeutende Umwälzungen hervorgerufen. Der gleiche Vorgang, der sich im Erwerbsleben durch die Einführung der Maschine und der fabrikmäßig hergestellten Ware abspielte, hat auch in der Baukunst eine Marktware hervorgebracht, die wie alle für den Massenabsatz bestimmten Dinge schablonenmäßig und ohne Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse hergestellt wird. Es ist die Bauspekulation entstanden, die Häuser nicht auf Bestellung, sondern zum Verkauf herstellt. Es liegt also dem Bauen im Vergleich zur früheren Zeit eine andere Absicht zugrunde, und zwar nicht wie sonst die „Kunst“, sondern das „Geschäft“. Diesen Unterschied müssen wir uns klar machen, um das Wesen unserer heutigen Architektur besser verstehen und beurteilen zu können. Die Bauspekulation an und für sich ist eine folgerichtige Erscheinung unserer Zeit, sie ist eine gewisse Notwendigkeit, da bestimmte Kreise von Menschen unmittelbar auf sie angewiesen sind. Unerfreulich ist es aber, daß die Bauspekulation sich in den seltensten Fällen der Architekten bedient, die künstlerische Seite also ganz vernachlässigt, und daß das Publikum solchen Dingen gedankenlos gegenübersteht. Es gibt heute in allen Städten eine Reihe gut geschulter Architekten, die oft mühsam ihren Erwerb sich suchen müssen und jederzeit gern ihr Können in die Dienste der Bauspekulation stellen würden. Die Häuser könnten auf diese Weise nicht nur praktischer und schöner, sondern auch vor allen Dingen billiger hergestellt

Empfohlene Zitierweise:
Walter Mackowsky: Erhaltenswerte bürgerliche Baudenkmäler in Dresden. Verlag von C. Heinrich in Dresden-N., Dresden 1913, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Mackowsky_Baudenkm%C3%A4ler.djvu/85&oldid=- (Version vom 26.11.2024)