ihrem geistigen Lebensinhalt entspricht, auch eine materielle Existenzmöglichkeit zu erzielen? Verzichten denn Männer in akademischen Berufen (oder anderen, die eine gewisse Bildung voraussetzen) auf ein Einkommen aus diesen Berufen (denen sie sich doch voll und ganz widmen müssen, um in ihnen etwas zu leisten), leben sie samt und sonders von ihren Renten und begnügen sie sich mit dem »geistigen Lebensinhalt«, den ihnen diese Berufe vielleicht geben?!
Daß die Frauen es endlich satt haben, sich entweder zu prostituieren oder zu versklaven (oder nur zum Ziegelschupfen »freien Zutritt« zu erhalten), daß sie endlich auch ihre geistigen Fähigkeiten nutzbar gemacht und bewertet wissen wollen, ist die Grundlage jener »Bewegung«, die für Weininger ein »Unsinn« ist. Und daß dieser Kampf um Brot mit dem Kampf nach Daseinsinhalt endlich Hand in Hand gehen könne, ist das vornehmste Ziel der Emanzipation. Und dieses Ziel kann mit nichten das »einzelne Individuum für sich allein erkämpfen«, wie Weininger dies fordert, dem die Massenbewegung der Frauen wie ein »großes, wildes Heer« erscheint, das die »wahre« Befreiung nicht erringen könne. Es gibt keine »wahre« Befreiung ohne wirtschaftliche Befreiung! Und in dem Kampfe danach wäre das »einzelne Individuum für sich allein« hilflos verloren, – wehrund waffenlos würde es von der kompakten Masse der Gegner – auch ein »großes, wildes Heer« – in Grund und Boden getreten! Um neue soziale Tendenzen durchzusetzen, um dem Trust auf allen Linien gerüstet zu begegnen, bedarf es des Zusammenschlusses aller einheitlichen Willen, – des »Unsinns« der Organisation.
Grete Meisel-Heß: Weiberhaß und Weiberverachtung. Die Wage, Wien 1904, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Weiberhass_und_Weiberverachtung.djvu/29&oldid=- (Version vom 1.8.2018)