könnte es auch niemals ein weibliches Genie geben, – »denn« – wie könnte ein seelenloses Wesen Genie haben?
Gewiß eine klappende, – klappernde Logik, eine Logik mit gebrochenen Gelenken und durcheinander geschüttelten Gliedern!
»Das« Weib lebt weniger bewußt als »der« Mann! Ja, vielleicht, – unter ganz bestimmten Verhältnissen. In vollkommen geschützten Bourgeoiskreisen vielleicht, wo die Tätigkeit der Frau sich ausschließlich auf ihr häusliches Milieu beschränkt, während der Mann durch seinen Beruf im Kontakt mit dem Leben steht und daher – vielleicht – eine »bewußtere« Existenz führt als sie. Aber wie steht’s zum Beispiel beim Arbeiter, wo der Mann nicht Handel, Industrie, Wissenschaft oder Kunst, sondern aufreibende, schwere Taglöhnerarbeit betreibt? Führt er auch ein »bewußteres« Leben als »das Weib«, oder leben sie nicht etwa beide (soferne noch kein frischer Windzug politischer Stellungnahme zu ihnen gedrungen ist) ein dumpfes, stumpfes, erkenntnisloses und qualenreiches Frohndasein?! Der Bäckergeselle z. B., der, wie jüngst durch eine Enquete eruiert wurde, in manchen Fällen von Abends 8 Uhr bis Mittags 12 Uhr beim Teigtrog steht, dann von 12 bis 8 Uhr den notwendigsten Schlaf nachholt und um 8 Uhr wieder in die Backstube geht, lebt er etwa ein »bewußteres« Dasein als »das« Weib?!
Alle diese Einzelheiten zeigen aber deutlich, daß es sich überall darum handelt, gerade den frischen Luftzug einer maßvollen Betätigung, eines Berufes, der nicht den ganzen Menschen frißt, der ihm Zeit läßt zur Selbstbestimmung und zum Kontakt mit der Welt und ihn dabei menschenwürdig ernährt, den Menschen erringen zu helfen, um ihnen eine Seele zu geben. Weder im abgesperrten Heim, noch im Ghetto, noch am Teigtrog läßt sich »Seele« erwerben, kann sich Intellegiblität entwickeln.
Grete Meisel-Heß: Weiberhaß und Weiberverachtung. Die Wage, Wien 1904, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Weiberhass_und_Weiberverachtung.djvu/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)