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der Demuth: Heilige Jungfrau, wir bringen die drey Opfer, dem beleidigten Gotte zur Sühne! Befiehl, daß sie geschlachtet werden, damit ihr Blut den Ewigen angenehm sey, und sie unseren Waffen Sieg verleihen mögen.

Die Blicke der Jungfrau weilten lange auf den drey unglücklichen Schlachtopfern, anfangs kalt und ruhig, als wenn Beruf und Gewohnheit sie gegen den schrecklichen Anblick schon abgestumpft hätten. Auf einmal aber wurden sie unruhig, und dunkle Gluth färbte schnell ihre bleichen Wangen, um einen Augenblick darauf der Blässe des Todes Platz zu machen. Sichtbar durchzuckte ein tiefer Schmerz ihre Seele, allein mit bewunderungswürdiger Gewalt sammelte sie sich rasch, und, indem sie das Auge zum Himmel emporhob, und dann langsam auf die Versammlung vor sich wieder niedersinken ließ, sprach sie mit fester, ruhiger Stimme: Der Opferplatz ist entheiligt durch freches, wildes Kampfgetümmel! Heute darf den Göttern kein Blut hier fließen! Kehret morgen zurück. Wenn der Mond heute Nacht seinen höchsten Punkt erreicht hat, werde ich den Willen der Götter erforschen, und morgen ihn Euch verkünden! Entfernt Euch jetzt, damit der Hayn von den heutigen Gräueln gereinigt werden könne.

Die Menge wollte ehrerbietig dem Befehle der den Göttern heiligen Jungfrau gehorchen. Aber der Oberpriester hielt sie. Er hatte das Erbleichen der Priesterin bemerkt, und seine tückische Seele ahnte Verrath. Jungfrau! sprach er hastig, aber ohne die Ehrfurcht aus den Augen zu setzen, die er der Oberpriesterin schuldig war. Es sind schon größere Gräuel

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_260.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)