William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII. | |
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was ich statt einer Antwort erhalten konnte, war, daß ihr Kammer-Mädchen mir sagte, die Luft selbst sollte in den nächsten sieben Jahren ihr Gesicht nicht bloß zu sehen kriegen; sondern gleich einer Kloster-Frau will sie in einem Schleyer herum gehen, und alle Tage ein mal ihr Zimmer rund herum mit Thränen begiessen: Alles diß aus Liebe zu einem verstorbenen Bruder, dessen Andenken sie immer frisch und lebendig in ihrem Herzen erhalten will.
Herzog.
O, Sie, die ein so fühlendes Herz hat, daß sie einen
Bruder so sehr zu lieben fähig ist; wie wird sie lieben,
wenn Amors goldner Pfeil die ganze Heerde aller andern
Zuneigungen, ausser einer einzigen, in ihrer Brust getödtet
hat? Wenn Leber, Gehirn und Herz, drey unumschränkte
Thronen, alle von Einem (o entzükende Vorstellung)
von Einem und demselben König besezt und ausgefüllt
sind! Folget mir in den Garten – – Verliebte Gedanken
ligen nirgends schöner, als unter einem grünen Thron-Himmel,
auf Polstern von Blumen.
William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII.. Orell, Geßner & Comp., Zürich 1766, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wieland_Shakespear_Theatralische_Werke_VII.djvu/409&oldid=- (Version vom 1.8.2018)