William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII. | |
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[Malvolio trift Viola, in ihrer Verkleidung als Cäsario an, und richtet den Auftrag bey ihr aus, den ihm Olivia vorhin gegeben, und da Viola den Ring nicht annehmen will, wirft er ihn endlich vor ihre Füsse und geht ab.]
Viola (allein.)
Ich ließ keinen Ring bey ihr ligen; was meynt diese
Dame damit? Das Unglük wird doch nicht wollen, daß ihr
meine Gestalt in dieser Verkleidung gefährlich gewesen! Sie
schien mich mit günstigen Augen anzusehen, in der That,
so sehr, daß ihre Augen ihre Zunge verhext und gelähmt
zu haben schienen; denn sie sprach sehr zerstreut und ohne
Zusammenhang – – Sie liebt mich, so ist es; und der Auftrag
den sie diesem plumpen Abgesandten gemacht, ist ein
Kunstgriff, mir ihre Liebe auf eine feine Art zu erkennen
zu geben – – Sie will keinen Ring von meinem Herrn; wie?
er schikte ihr ja keinen; ich bin der Mann – – Wenn es so
ist, (und es ist so) das arme Fräulein! so wär es noch
besser für sie, in ein blosses Phantom verliebt zu seyn.
Verkleidungen sind, wie ich sehe, eine Gelegenheit, deren
Satan sich wol zu bedienen weiß. Wie wenig es braucht,
um in ein wächsernes Weiber-Herz Eindruk zu machen!
Himmel! daran hat unsre Gebrechlichkeit Schuld, nicht
wir; wenn wir so gemacht sind, was können wir dafür,
daß wir so sind? – – Aber wie wird sich das zusammen
William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII.. Orell, Geßner & Comp., Zürich 1766, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wieland_Shakespear_Theatralische_Werke_VII.djvu/441&oldid=- (Version vom 1.8.2018)