optische Phänomene beeinflussen müsse zum Gegenstand eingehender Spezialuntersuchungen gemacht und gezeigt, dass die meisten Experimente nach dieser Theorie ein negatives Ergebnis haben müssten. Nur ein Versuch, der Interferenzversuch Michelsons, war mit den Grundlagen der Theorie nicht vereinbar. Um ihn zu erklären, musste eine besondere Hypothese aufgestellt werden, die gleichzeitig von Fitzgerald und Lorentz ausgesprochen ist.
Wir werden gleich sehen, dass diese Hypothese eine der Grundlagen der veränderten Raumanschauung bildet.
Nun war die Theorie von Lorentz insofern nur eine Näherungstheorie als er sich auf die Betrachtung kleiner Geschwindigkeiten im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit beschränkt hatte. Es lag hierin etwas Unbefriedigendes, indem naturgemäss die Frage aufgeworfen werden musste, inwieweit die aus der Theorie gefolgerten negativen Ergebnisse der Versuche eine absolute Bewegung nachzuweisen auch bei grossen Geschwindigkeiten gelten würden. In der Tat war man durch die Erkenntnis, dass die Kathoden und Becquerelstrahlen Elektronen sehr grosser Geschwindigkeit seien, in den Stand gesetzt nun auch Geschwindigkeiten zur Beobachtung heranzuziehen, die nicht mehr klein gegen die Lichtgeschwindigkeit sind.
Das Bedürfnis die Theorie auch für grössere Geschwindigkeiten zu erweitern führte Lorentz zu einer Modifikation seiner ersten Theorie, die nun zeigt, dass die elektromagnetischen Gesetze für ein bewegtes System bei passender Definition der Raum- und Zeitgrössen genau dieselbe Form wie in einem ruhenden System haben. Diese Lorentzsche Theorie enthält mathematisch alles was wir jetzt als Relativitätstheorie bezeichnen und sie enthält namentlich die Transformation von Raum und Zeit, die wir als das besondere neue kennen lernen werden. Indessen stand Lorentz nicht auf dem Boden der Relativitätstheorie. Er hielt an der Hypothese des ruhenden Äthers fest. Ich selbst bin zu derselben Transformation der Raum- und Zeitgrössen in einem viel spezielleren Fall, nämlich bei der Untersuchung einer bewegten Strahlungsquelle, gelangt. Es ist mir aber gar nicht in den Sinn gekommen dieses Ergebnis vom Standpunkte der Relativitätstheorie zu deuten.
Hier war noch ein besonderer, ich möchte sagen, erkenntnistheoretischer Wagemut erforderlich nämlich der, den bisherigen Zeitbegriff aufzugeben und ausserdem den bisherigen Begriff des starren Körpers, der schon durch die von Lorentz zur Erklärung des Michelsonschen
Wilhelm Wien: Über die Wandlung des Raum- und Zeitbegriffs in der Physik. Sitzungsberichte der physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg, Würzburg 1909, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRaumZeit.djvu/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)