kann. Überall wo sich im Raume Energie befindet, ist auch eine entsprechende Menge träger Masse vorhanden und es steht nichts im Wege nur Energie als vorhanden anzunehmen, die in den Atomen der Körper in ungeheurer Konzentration vorzustellen wäre.
Bei der Aufstellung der mathematischen Form der Naturgesetze, die dieser Relativitätstheorie genügen, hat sich gezeigt, daß die Abmessungen des Raumes und die Zeit formal in vollkommen gleicher Weise auftreten, wenn man die Zeit mit der imaginären Einheit, der Quadratwurzel aus minus Eins, multipliziert.[1] Diese Darstellung, bei der die imaginäre Zeit die Rolle der vierten Dimension des Raumes übernimmt, ist wohl die erste Veranlassung gewesen, der Relativitätstheorie allgemeinere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Mystik der vierten Dimension schien hier in das helle Licht physikalischer Erkenntnis gerückt zu werden. So wichtig nun zweifellos die Beziehung von Raum und Zeit ist, welche durch die Relativitätstheorie aufgedeckt wurde, so muß doch immer wieder darauf hingewiesen werden, daß es sich hier zunächst nur um einen formalen Zusammenhang handelt, wie schon daraus hervorgeht, daß nicht die Zeit selbst diese Rolle spielt, sondern die imaginäre Zeit. An der Tatsache, daß die Zeit etwas völlig anderes ist als eine Raumabmessung vermag weder die Relativitätstheorie noch irgendeine andere Theorie etwas zu ändern.
Die bisher betrachtete, sogenannte spezielle Relativitätstheorie, die sich nur auf Bewegungen mit unveränderlicher Geschwindigkeit bezieht, hat, wie wir gesehen haben, eine wesentliche Umgestaltung grundlegender physikalischer Begriffe und Auffassungen eingeführt. Dabei möchte ich das Relativitätsprinzip nicht eigentlich als ein physikalisches sondern als ein erkenntnistheoretisches bezeichnen. Denn es wird auf der Grundlage aufgebaut, daß wir die absolute Bewegung nicht sollen erkennen können. Die nur aus der Physik fließenden Gesetze sind immer nur als solche anzusehen, die näherungsweise Gültigkeit haben, die bei fortschreitender Erkenntnis durch genauere zu ersetzen sind. Das sehen wir an dem Satze von der Unveränderlichkeit der Masse, an der Regel für Zusammensetzung von Geschwindigkeiten, am Dopplerschen Prinzip und anderm. Das Relativitätsprinzip verlangt aber
- ↑ [33] 9) H. Minkowski hat zuerst gezeigt, wie sich die elektromagnetische Theorie als eine Geometrie von vier Dimensionen darstellen läßt. Sind und die Vektoren des elektrischen und magnetischen Feldes, so gilt in der Elektronentheorie, wenn die elektrische Ladung, die Geschwindigkeit bezeichnen.
Setzen wir nun so läßt sich das erste System dieser Gleichungen schreiben.
I Die vollkommene Symmetrie zwischen den Raumordinaten und der imaginären Zeit tritt hervor, wenn man
wobei allgemein ist.
Setzt man noch allgemein voraus, daß ist so lassen sich die linken Seiten der Gleichungen I schreiben
wird ein Sechservektor und die Differentialoperation eine Divergenz genannt.
Die Gleichungen
usw. ist. Bei der Lorentztransformation verändern sich die Feldvektoren in folgende
Minkowski führt noch den Nachweis, daß in einem solchen Raum von vier Dimensionen die Transformationen der Relativitätstheorie auf einfache geometrische Konstruktionen führen.
Man hat zu diesem Zwecke im Raum von vier Dimensionen ein Gebilde zu konstruieren, das einem Hyperboloide entspricht und durch die Gleichung dargestellt wird. In der -Ebene schneidet dieses Gebilde eine Hyperbel aus. Irgendeine gerade Linie R (Fig. 3) repräsentiert eine konstante Geschwindigkeit weil sie konstant ist. Wo diese Linie die Hyperbel schneidet (im Punkte A) hat man eine Tangente an die Hyperbel zu legen und durch den Anfangspunkt der Koordinaten O eine Parallele zu ihr zu ziehen (P). Die Linien R und P bilden nun ein schiefwinkliges Koordinatensystem, in welchem die Hyperbel durch eine Gleichung von derselben Form ausgedrückt wird, wie in dem ursprünglichen. Die Transformation von dem einen Koordinatensystem auf das andere enthält sämtliche Transformationen der Relativitätstheorie. Hierbei repräsendiert das eine Koordinatensystem in bezug auf das andere eine Bewegung mit der Geschwindigkeit . Je nachdem man das eine oder das andere Koordinatensystem wählt, nimmt man dieses als ruhend an. Es ist also die Zeit mit den Raumdimensionen ebenso fest verbunden wie diese untereinander und man kann von einem Raum als solchem nur etwa in dem Sinne sprechen wie bisher von zweidimensionalen Gebilden. Vgl. H. Minkowski, Ann. d. Phys. 47; S. 927; 1915.
Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)