Seite:WienRel.djvu/16

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Wenn ein in beschleunigter Bewegung sich entfernender Körper Lichtstrahlen aussendet, so wird die Schwingungszahl dieser Strahlen für einen ruhenden Beobachter nach dem Dopplerschen Prinzip verkleinert gerade so wie von einer sich entfernender Schallquelle ein tieferer Ton gehört wird wie von einer ruhenden. Wenn nun an Stelle der beschleunigten Bewegung die Schwerkraft treten kann, so muß die letztere auch dieselbe Einwirkung haben. Da, wo die Schwerkraft sehr groß ist, wie an der Sonne, müssen die Schwingungszahlen des Lichtes eine Verkleinerung erfahren gegenüber solchen Orten, wo die Schwerkraft geringer ist. Die Spektrallinien der Sonne müssen eine Verschiebung nach dem roten Ende des Spektrums erhalten, die mit den heutigen Beobachtungsmethoden nach gerade meßbar sein sollte. Diese Folgerung der allgemeinen Relativitätstheorie ist so zu deuten, daß die Zeitmessung von der Schwerkraft abhängig ist. Gerade so wie eine Schwingungszahl auf der Sonne sich verkleinert, muß eine Uhr dort langsamer laufen. Hieraus ist wiederum zu schließen, daß die Lichtgeschwindigkeit an der Sonne verkleinert erscheinen muß, da die Geschwindigkeit gleich einer Strecke dividiert durch die zu ihrer Überwindung verbrauchte Zeit ist.

Diese Veränderung der Lichtgeschwindigkeit hat zur Folge, daß ein Lichtstrahl in der Nähe der Sonne eine Brechung erfährt wie beim Übergang aus einem optisch dünneren Medium in ein optisch dichteres.

Berücksichtigt man diese Änderung der Lichtgeschwindigkeit, so erhält man in der Nähe der Sonne eine Ablenkung von 0,83 Bogensekunden.

In seiner neuern allgemein mathematisch formulierten Theorie hat Einstein einen Wert für die Ablenkung des Lichtstrahles durch die Sonne abgeleitet, der doppelt so groß ist. Dieser vergrößerte Betrag rührt daher, daß die Maßverhältnisse nicht nur der Zeit sondern auch des Raumes durch die Schwerkraft beeinflußt werden.

Die englischen Astronomen haben nun in der Tat eine Ablenkung des Lichtstrahls an der Sonne beobachtet von einer Größe wie ihn die Einsteinsche Theorie ergeben hat. Trotz diesem unzweifelhaften Erfolge der Theorie wird man weitere Beobachtungen abwarten, ehe von einer endgültigen Bestätigung gesprochen

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Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)