Eine Geometrie, bei der die Winkelsumme im Dreieck größer ist als zwei rechte Winkel, nannte man eine sphärische Geometrie weil die geraden Linien in ihr in sich zurücklaufen wie die größten Kreise einer Kugel. Die Möglichkeit, mit Hilfe der nichteuklidischen Geometrie ein endliches Weltall aufzunehmen ist schon von Bernhard Riemann erkannt. Sie ist von neueren Astronomen vielfach erörtert worden. Hier tritt aber die Frage auf, ob wirklich die einfachen Grundlagen der Geometrie aufgegeben werden dürfen.
Einstein[1] hat nun den Versuch gemacht, den Nachweis zu führen, daß für die Anwendung der Gesetze der Massenanziehung auf das gesamte Weltall die mit der nichteuklidischen Geometrie operierende Relativitätstheorie Vorzüge vor der bisherigen Mechanik besitzt. Es war schon lange bekannt, daß eine das gesamte Weltall mit endlicher Dichte füllende Materie mit dem Newtonschen Gesetz der allgemeinen Schwere nicht vereinbar ist[2]. Vielmehr muß man annehmen, daß die Dichte der Materie mit zunehmender Entfernung von einem Mittelpunkt immer weiter und zwar mindestens im umgekehrten Verhältnis des Quadrats der Entfernung abnimmt. Wir kommen dann zur Vorstellung des immer leerer werdenden Raumes. Man würde dieser erkenntnistheoretischen Schwierigkeit entgehen, wenn man eine nichteuklidische sphärische Geometrie annehmen würde, bei der die geraden Linien in sich selbst zurücklaufen. Ein solcher Raum ist endlich. Die Relativitätstheorie soll nun den Vorteil haben, daß sie ohnehin schon die nichteuklidische Geometrie einführt, so daß von selbst eine sphärische Geometrie aus der Relativitätstheorie folgen würde, und daß ein unendlich ausgedehnter Raum mit ihr nicht vereinbar ist.
Man muß indessen diese Betrachtungen mit großer Vorsicht anstellen. Alle Anwendungen der Naturgesetze auf das unendliche Weltall sind immer fragwürdig und wenn es auch von Interesse ist zu sehen, wie weit solche Anwendungen führen, so muß man sich doch klar darüber sein, daß man aus den sich ergebenden Schwierigkeiten keine bindenden Folgerungen ableiten kann.
Die mathematische Form der allgemeinen Relativitätstheorie ist nun eine solche, daß eine strenge und eindeutige Festsetzung dessen, was man unter dieser Theorie verstehen will, nicht möglich ist. Die Relativitätstheorie ist vielmehr ein System von mathematischen
- ↑ [35] 11) A. Einstein, Berl. Berichte 1917, S. 142.
- ↑ [35] 12) H. v. Seeliger, Astron. Nachrichten Bd. 137; 1894. Sitzungsber. d. Münchner Akad. November 1896. Über die Anwendung der Naturgesetze auf das Universum; Scientia VI, Nr. 11, 4; 1909.
Das Potential der Massenanziehung einer Kugelschale zwischen den
Halbmesser und ist ,
wo Polarordinaten sind, die Massendichte bezeichnet.
Setzen wir so wird das Potential
Soll dieser Ausdruck für unendliches endlich bleiben, so muß höchstens sein, d. h die Dichte ist und es nimmt daher mit wachsender Entfernung so ab, daß nicht nur sondern auch mit unendlich groß werdendem der Null zustrebt.[36]
„Wenn das Newtonsche Gesetz absolut genau richtig sein soll, dann dürfen nicht unendlich große Räume des Weltalls mit Masse von durchschnittlich endlicher Dichte erfüllt sein.“
Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)