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macht, daß sich die Erde dreht. Hieran ändert natürlich die Relativitätstheorie nicht das mindeste.

Der ungeheure Einfluß der kopernikanischen Lehre bestand darin, daß sie den bisherigen Glauben, daß die von Menschen bewohnte Erde den Mittelpunkt des Weltalls bilde, ein Ende bereitete. Der Einfluß dieser geistigen Leistung auf die Weltanschauung des Menschen ist unermeßlich gewesen, weil seine Stellung zum Weltall von Grund aus verändert wurde. Es ist natürlich ganz ausgeschlossen — und jeder Anhänger der Relativitätstheorie wird das zugeben — daß diese Wirkung der kopernikanischen Lehre wieder rückgängig gemacht werden kann.

Die Relativitätstheorie behauptet nur, daß aus ihrem System logisch auch die Möglichkeit, daß sich das Weltall um die Erde drehe, gefolgert werden könne. Sie bedarf zur Durchführung dieses Beweises der Voraussetzung, daß die bei der Erddrehung auftretenden Fliehkräfte durch die Einwirkung der Himmelskörper des Weltalls hervorgerufen werden können. Aber diese Möglichkeit, aus der sich physikalische Folgerungen ziehen lassen, ist für die Wirklichkeit bedeutungslos, weil die Einfachheit des kopernikanischen Systems dieses allein für unser Naturerkennen brauchbar erscheinen läßt.

Es muß deshalb auch bestritten werden, daß die Relativitätstheorie eine neue Weltanschauung begründen könne. Diese Theorie hat mit Weltanschauung nur insofern etwas zu tun, als sie, wenn sie sich erfahrungsmäßig bestätigen sollte, eine Bereicherung des physikalischen Wissens bildet. Da sie sich im übrigen der bewährten Methode der theoretischen Physik bedient, kann sie die Weltanschauung nur in dem Umfang beeinflussen, als dies die Physik überhaupt zu tun vermag. Wenn vielfach von einer relativistischen Weltanschauung gesprochen wird, die in Beziehung trete mit der von Spengler in seinem „Untergang des Abendlandes“ vertretenen Auffassung, so muß entschieden bestritten werden, daß eine solche mit der physikalischen Relativitätstheorie irgend etwas zu tun hat.

Die Neigung, physikalische Grundsätze zu verallgemeinern und auf fremde Gebiete zu übertragen hat schon oft zu unrichtigen Folgerungen geführt. Als Maupertuis das Gesetz der kleinsten

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Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)