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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

des Pfarrers, als Vorstandes. Als nun das Ehegesuch des N. N. an die Gemeindeverwaltung gekommen war, gab diese nach Gewohnheit ihre schriftliche Zustimmung in der Zuversicht, daß der Pfarrer sie ohne Zweifel auch unterschreiben würde. Hier hätte ich mich allerdings gegen die Unterschrift wehren können, aber ob dürfen, ist eine andere Sache. Es galt nicht einen Fall, in welchem ein Mensch in die Gemeinde erst aufzunehmen war; der Bräutigam war ja ansäßig, rechtskräftig geschieden, staatlich zur Wiederverehelichung ermächtigt, von der zuständigen Behörde daher auch nicht ab-, sondern nur an die Gemeinde gewiesen, und alles, was der Armenpflegschaftsrath zu überlegen und zu beantworten hatte, war nur das Eine, ob der Nahrungsstand des Bräutigams durch die einzugehende Ehe gefährdet sei, oder nicht. Ganz so hatte es die Gemeindeverwaltung genommen. Der Ortsvorsteher brachte die zustimmende Erklärung der Gemeindeverwaltung mit den Worten: „„Kirchlich einsegnen kann man dies Ehepaar nicht; aber so weit Gemeindeverwaltung und Armenpflegschaftsrath zu reden haben, kann man die Ehe nicht hindern.““ Ganz richtig; die staatliche Behörde, welche die Erklärung forderte, wollte nichts wißen, als das Eine, ob die staatliche Armenpflege von ihrem Standpunkte aus eine Einwendung zu machen hätte. Von diesem aus mußte geantwortet werden, und gerade von diesem aus gab es keine Einwendung, da sich ja durch die Verehelichung nicht bloß das Vermögen, sondern auch die Erwerbskraft der Familie mehrte. Hätte man sagen wollen, ich hätte die Gemeindeverwaltung als solche beeinflußen sollen, so konnte ich nach den oben ausgesprochenen Grundsätzen auch das nicht, zumal die Männer alle selbst ganz klar wußten, was sie wollten und sollten. Sie schieden die Gebiete des staatlichen und kirchlichen Lebens, sie wußten, daß sie auf dem ersteren standen und zu walten hatten, und daß sie da nicht einmal im Interesse der Sittlichkeit die von der Staatsbehörde eingeleitete Ehe zu hindern hätten. Nach dem Sinne der Staatsgesetze durfte der Mann heirathen. Beweise lagen genug vor, daß er ohne Ehe nicht keusch leben konnte und wollte, – die neue Ehe konnte vielleicht ihn und andere aus der Versuchung zur Sünde rücken, – möglicherweise konnte überhaupt die Ehe beßernd auf den Mann wirken: warum also sollte die Gemeinde, die politische Gemeinde, die Ehe hindern? Ich selbst fand ihr Verfahren um so mehr richtig, als dem unbußfertigen und verhärteten Menschen auch damit eine kräftige Einladung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)