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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

Er sagte, was sich mir selbst oft aufgedrängt, und wodurch ich mir die Wirkungslosigkeit der schlechten Zeugnisse erklärt hatte. Was nun aber eigentlich der Staat verlange, das konnte er mir nicht sagen. Eine amtliche Erkundigung, die ich späterhin anstellte, machte mich eben so wenig weise. Ich suchte also möglichst nach dem allgemeinen Grundsatz zu handeln, daß der Staat den Leumund anders, als die Kirche beurtheile, daß man also einem jeglichen sein Leumundszeugnis gut ausstellen müße, wenn kein Umstand vorliege, der den Staat verhindern könne, ihm die Verehelichung zu gestatten. Doch hielt ich immerhin darauf, daß die Leumundszeugnisse nichts Falsches enthalten dürften. – Als mir nun der Ortsvorsteher von N.D. das Leumundszeugnis des mehrerwähnten geschiedenen Ehemannes zum contrasignieren überbrachte, fand sichs, daß es zwar kein sehr gutes, aber doch ein beßeres Zeugnis war, als er nach dem allgemeinen Eindruck seines Lebens verdiente. Auf meine Aeußerung erklärte der Vorsteher, der öffentliche Wandel des Mannes habe gerade seit einiger Zeit weniger Anlaß zur Klage gegeben. Er habe weniger getrunken und in den Schenken herumgelegen. Ob eine besondere Absicht der augenblicklichen Aenderung zu Grunde liege, etwa die, ein beßeres Zeugnis oder überhaupt mehr guten Willen zu finden, könne man nicht wißen; da man aber unter allen Umständen wahrhaftig sein müße, so habe die Gemeindeverwaltung bei aller (schon damals vorhandenen) Uebereinstimmung mit mir in der Beurtheilung der bevorstehenden Ehe dennoch geglaubt, das Leumundszeugnis in Vergleich mit anderen gerade so ausstellen zu müßen. Da sich, wie die nachher eingezogene Erkundigung bestätigte, die Sache so verhielt; so bekam der Bräutigam, auf dem Wege des Gehorsams und der Wahrheit, nicht bloß ein Leumundszeugnis, sondern ein beßeres, als man ihm noch einige Wochen vorher würde gegeben haben. Doch wußte damals weder der Ortsvorsteher noch ich etwas von den beiden in Ehebruch erzeugten Kindern. Wie man daher bei der damaligen Lage der Sache und in den allgemeinen Verhältnissen unsers bürgerlichen Lebens anders hätte handeln können, weiß ich nicht.

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 Wenn ein Verehelichungsgesuch bei der zuständigen Behörde angebracht ist, geht es zum Behuf etwaiger Einrede an den betreffenden Gemeinde-Ausschuß und Armenpflegschaftsrath. Der letztere besteht selbst wieder aus dem Gemeindeausschuß, aber unter Zuziehung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)