Seite:Wilhelm Löhe - Meine Suspension im Jahre 1860.pdf/14

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

zweien Herren dienen müßen, deren Zwecke und Befehle sich, wenn vielleicht in der Idee, doch nicht in der Wirklichkeit allzeit vereinen laßen. Nachdem es einmal so steht, ist der Redliche und Weise nicht der, der eins dem anderen unterthänig macht, sondern, der mit aller Kraft der Kirche dient, dem Staate aber in seinem Sinne Gehorsam leistet, so weit es möglich ist, und wenn es nicht mehr möglich ist, geduldig das Leiden auf sich nimmt, das solche Verhältnisse immer bringen müßen. „Ich sprach, ich muß das leiden, die rechte Hand des Höchsten kann alles ändern.“ Gemäß diesen Grundsätzen habe ich allezeit die Geschäfte eines kgl. bayer. Pfarramtes im Sinne des Staates zu erledigen gesucht, und wo es nach dem göttlichen Worte nicht erlaubt war, einfach dem Wort des Herrn gehorcht und das Kreuz auf mich genommen, ohne das ich nicht sein konnte. In diesem Sinne habe ich auch Leumundszeugnisse, Erklärungen des Armenpflegschaftsrathes und Proclamationen behandelt.

.

 Wer ein Verehelichungsgesuch bei der Obrigkeit anbringen will, hat unter anderen Zeugnissen auch ein Leumundszeugnis vorzulegen. Die Gemeindeverwaltung stellt es aus, der Pfarrer hat es zu contrasignieren. Der Geist des Gesetzes will gewiss nichts anderes, als guten Leumund zu einer der Bedingungen der Verehelichung machen. Bei rein formaler Behandlung der Sache ist es aber leider hinreichend geworden, wenn nur ein Leumundszeugniß übergeben wird, von welcher Art es auch sei. – Sehr gewöhnlich ist es, daß übermäßig gute Leumundszeugnisse ausgestellt werden, welche der Wahrheit durchaus nicht entsprechen. Ich habe daher allezeit darauf gesehen, daß mir keine anderen, als wahrhaftige, womöglich bloß negativ gehaltene Zeugnisse zum contrasignieren vorgelegt wurden. Widrigen Falls habe ich Bemerkungen beigefügt, welche die Wahrheit herstellen sollten. Es sind daher viele schlechte Leumundszeugnisse durch meine Hände und von denselben gegangen, ohne daß auch nur der geringste Einfluß auf Ertheilung der Verehelichungserlaubnis jemals zu bemerken gewesen wäre. Daher könnte man allerdings, in Betreff der Ausstellung von Zeugnissen leichtsinnig und gleichgiltig werden. Dies ist jedoch meinerseits nicht geschehen. Ein Beamter sagte mir einsmals, ich ließe solche Dinge auf meine Leumundszeugnisse einwirken, auf welche der Staat nicht sähe; die kirchliche Auffaßung des Leumunds sei eine ganz andere, als die des Staates, sie sei strenger und rücksichtsvoller.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)