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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

 Man machte mirs vielfach zum Vorwurf, daß ich nicht genug gethan hätte, den in Rede stehenden Ehefall zu verhindern. Ich hätte bei Ausstellung des Leumundszeugnisses, als Vorstand des Localarmenpflegschaftsrathes bei Abgabe der gesetzlichen Erklärung in Betreff der Wiederverehelichung mehr entgegen wirken, und namentlich nicht proclamieren sollen.

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 Was nun alle diese und ähnliche Dinge anlangt, so bekenne ich, daß ich je und je einen Unterschied zwischen dem göttlichen Hirtenamte und zwischen den Geschäften gemacht habe, welche seit dem Bestehen der Staatskirchen von dem Staate den Hirten der Gemeinden als den dazu passendsten Personen übertragen wurden. Das Hirtenamt selber verdanke, seine Führung verantworte ich dem Erzhirten und Bischof, dem Richter der Welt, nach den von ihm gegebenen Bestimmungen. Dagegen aber die Geschäfte, welche der Staat den Pfarrern anvertraut hat, darf ich nur in seinem Sinne erledigen, wenn ich sie einmal übernehmen konnte und übernommen habe. Der Staat weiß sehr wohl, warum er diese Geschäfte den Pfarrern überträgt, und hat, bei dem einmal bestehenden Bunde zwischen Staat und Kirche, ganz recht, sie den Pfarrern zu belaßen. Die Kirche ihrerseits ist gewiss verpflichtet, die ihren Pfarrern angesonnenen Geschäfte entweder von denselben gar nicht übernehmen zu laßen, oder in dem Sinne, in welchem sie übertragen werden wollen. Geschäfte des Staates in einem anderen Sinne übernehmen, als in dem des Staates wird ein ähnliches Unrecht sein, wie wenn man einen Eid, den man schwören soll, in einem anderen Sinne schwört, als in dem von dem Richter vorgelegten. Mir ist es je und je wie eine Art von Jesuitismus erschienen, wenn man verschiedenartige Beziehungen und daraus hervorgegangene Verhältnisse Einer oder Einem unter ihnen trotz des Widerstrebens der anderen unterordnete. Es ist allerdings eine ganz üble Sache, daß die Diener der Kirche auch Staatsdiener sind, und die Vermengung der beiden Schwerter hat im allgemeinen niemals eine gute Wirkung gehabt; ebendaher kommt ja die unerträgliche Verwirrung aller Dinge, welche trotz der Tradition und Gewöhnung von anderthalb Jahrtausenden doch die Gewißen nicht so stumpf machen konnte, daß sich nicht zuweilen ein Schrei des tiefsten Wehs und Jammers hören ließe. Aber was hilfts, in diesen Verhältnißen leben wir nun einmal, und das ist eben die Aufgabe, die oft schwierige, zuweilen unmögliche, daß wir

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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)