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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

anders handeln als ich gethan. In Bayern aber haben die kirchlichen Behörden mit Ehesachen gar nichts zu schaffen; diese stehen rein unter den weltlichen Behörden, und wenn die Dekanate und Consistorien von ein- oder zweimaligem Aufgebote dispensiren können, so ist das an und für sich etwas Geringes und nur wie eine letzte Regung des staatlichen und kirchlichen Gewißens, die von der hohen Bedeutsamkeit der Ehe für die Kirche Zeugnis ablegt. Deshalb aber bleibt die Proclamation doch was sie ist, eine Ergänzung der gerichtlichen Eheeinleitung, zu welcher sich die Kirche verstanden hat. So faßte ich es wenigstens: so hatte ich es auch bereits im Jahre 1837 bei jenem ersten Falle gefaßt; so faßten und faßen es auch andere, ja ganze Kirchen, da ja die Proclamation auch auf andere Weise als von der Kanzel, und durch andere Leute als die Pfarrer geschieht, und auch unter uns bei Synoden und anderen Gelegenheiten oftmals Vorschläge zur Abänderung der bestehenden Art und Weise der Proclamation gemacht worden sind. Ich sehe in einer Proclamation durch den Pfarrer durchaus nichts Unwürdiges, freue mich auch, das votum und die Fürbitte anknüpfen zu können; aber wenn ich die eigentliche Proclamation ablese, da fühle ich mich, wie es bei uns steht, im Dienste jener staatspolizeilichen Kirchenordnung, der ich als lutherischer Pfarrer auf bayerischem Gebiete nicht entgehen kann, ich fühle mich im Dienst und Organismus der staatskirchlichen Gesetze, und deshalb habe ich auch in dem besprochenen Falle unbedenklich proclamirt. Würde ich aber eines anderen überzeugt und mir nachgewiesen, daß die Proclamation auch in Bayern, bei unseren staatskirchlichen und Eheverhältnissen ein kirchlicher Akt sei, so würde ich bei dem nächsten ähnlichen Falle nicht blos nicht copulieren, sondern auch nicht proklamieren. Bis jetzt aber bin ich noch immer der Meinung, richtigen Unterschied gemacht und auf alle Fälle meine Lust zum Gehorsam bis zur äußersten Grenze meiner kirchlichen Ueberzeugung, bis zur Proclamation bethätigt zu haben. Ohnehin wüßte ich gar nicht, was durch Verweigerung der Proclamation zu erreichen gewesen wäre. Etwa des Unglimpfs und etlicher bureaukratischen Plackereien würde mehr geworden sein; die Sache aber wäre gewiss ihren Weg gegangen, wie ohne das. Vielleicht war es friedlicher und klüger, proclamiert zu haben, zumal ja die ganze Gemeinde wußte, wie es gemeint war, und daß ich gewiss nicht trauen würde.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)