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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

der langen Zeit meiner Amtsführung zu N.D. klagen müßen! Nein, nein allenthalben war Ruhe, wehmüthige Stille, Unruhe und Aufregung war nur bei denen, die gehofft hatten, ihre Stunde sei gekommen. – Allerdings hätte in dieser Zeit bei einer anderen Führung Noth und Unglück entstehen können. Da die Gemeinde keinen Verweser anerkennen wollte, beschloß ein Sterbender, das Sacrament lieber nicht zu nehmen, als bei ihm. Ein Hausvater, dem ein Kind geboren wurde, befragte sich persönlich bei dem Pfarrer, ob es nicht beßer wäre, wenn er, der Vater, in dieser Noth es selbst taufte. Andere, welche an den Nöthen der Landeskirche längst Theil genommen und schwer getragen hatten, wünschten frei zu werden, auszutreten. Da wäre in der That Zunder genug gewesen, wenn man hätte Feuer haben wollen. Dagegen aber wurde der Hausvater unterrichtet, daß es auch eine Nothtaufe sei, wenn er, zumal unter geeigneten Bemerkungen, bei dem aufgestellten Verweser taufen ließe. Für den Kranken wurde gebetet, daß sich sein Leben länger erstreckte, und Gott erhörte. Den Austrittslustigen wurde gesagt, wie wenige unter ihnen Stand halten würden, wenn es zu der herzbrechenden Sache eines Austritts aus der Landeskirche kommen sollte, mit der sie bisher durch so viele tausend Fäden verbunden gewesen wären. Endlich entschloß sich der Vikar, nicht ohne Mahnen des Pfarrers, sich für gewisse Nothfälle und für die Sonntagspredigt bereit zu erklären, bis sich die Sache erledigen würde. Die Kirchenbehörde nahm das Erbieten an, zumal der aufgestellte Verweser an dem einen Sonntagsgottesdienste, den er hielt, vollkommen genug hatte und höchstens noch die Schreibereien besorgen und das Siegel führen wollte. In diesem traurigen Zustand des Mangels an geistlichen Gütern, verharrte die Gemeinde in tiefer Stille zwei Monate lang, ohne daß irgend etwas Ungeziemendes vorgekommen wäre, zum deutlichen Beweise, daß Gottes Wort und seine theuren Sacramente in derselben doch nicht umsonst gepredigt und verwaltet worden waren, daß die Gemeinde ebenso wenig indolent als aufrührerisch zu nennen war.

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 Wie oben bemerkt, kam schon Anfang August die Weisung der Kirchenbehörde an den Pfarrer der Braut, die Trauung auf das Dimissoriale des Pfarrverwesers vorzunehmen, an den Bräutigam, denselben um die Trauung zu bitten, an die geistlichen Unterbehörden, die Suspension aufzuheben. Damit kam auch für die Gemeinde ein zweites Stadium der Sache, nicht bloß für den Pfarrer. Bis dahin

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/33&oldid=- (Version vom 1.8.2018)