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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

bei einem schwerfällig angelegten größeren Ganzen in manchen Dingen nicht zu schnell die Geduld verlieren.




 Was endlich unsere protestantischen Landeskirchen anlangt, so bekenne ich aufrichtig, daß ich weder aus der hl. Schrift noch aus dem Studium der Geschichte, noch aus eigener Erfahrung das Lob rechtfertigen kann, das ihnen von vielen gesprochen wird. Mir scheint es eine unwiderlegliche, aus allen Zeiten von Constantin dem Großen an tausendfach zu belegende Thatsache zu sein, daß seit der Verbindung der Kirche mit dem Staate das Weib sehr gehindert war, den frommen Sauerteig in die drei Schäffel Mehl zu mengen, während es dem Feinde sehr wohl gelang, mit seinem Sauerteige den Süßteig der Kirche zu verderben. Die gesammte Mengerei von Gut und Bös im Urtheil, im Wollen, im Geschmack und im gesammten Leben, die uns gegenwärtig noch so sehr benebelt, ist uns offenbar durch die Ineinandermengung von Staat und Kirche zu Theil geworden. Die schreiendsten Beispiele könnte man aus der Ethik nehmen. Auch hat in diesem Punkte die Reformation nicht reformiert. Des Papocäsarismus sind wir losgeworden, dafür aber in das schlimmere Ende desselbigen Stabes Weh, in den Stachel des Cäsaropapismus gefallen. Die große Frage des Mittelalters, ob der Staat über die Kirche, oder die Kirche über den Staat zu setzen sei, ist durch die Reformation noch nicht in dem Sinne des Herrn entschieden worden, der da sagt: „Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist.“ Erst mußte der Cäsaropapismus als die zweite Antwort auf die Doppelfrage durch die Geschichte gerichtet werden, wie die erste, ehe man nur einen Anfang machen konnte, die simple Antwort des Herrn zu geben und damit den Doppelwahn von alten Tagen, die Doppelfrage sammt der Doppelantwort, los zu werden. Wie sehr uns Protestanten das Uebel bis in die neuere Zeit anhängt, beweist die vergebliche Bemühung der Juristen, das historisch gewordene Erbübel namentlich der lutherischen Kirche systematisch zu rechtfertigen und aus der Noth eine Tugend zu machen. Das ist nun so, und es wird kaum anders werden, wenn man auch die gründlichsten Bücher schriebe und jene neueren Juristen etc. und Theologen niederlegte, die in der That auf diesem Gebiete ihre Gleichgesinnten in den vorigen Jahrhunderten noch überbieten. – Es

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)