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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

 Aber diese Sätze alle, so gewiss sie protestantisch, evangelisch und weise sind, können, wenn sie nicht allerseits anerkannt sind, schwer in Ausübung gebracht werden. Wenn man sie z. B. in einer unserer verderbten Staatskirchen in rücksichtslose Ausübung bringen würde, so könnten sich nicht blos die Gottlosen derselben bemeistern, so wie sich die Bauernunruhen an die Fersen Luthers hängten, sondern es könnten viele Einfältige zu Fanatikern werden, andere aber durch die staatskirchlichen und polizeilichen Verfolgungen und die dadurch entstehenden Schrecken und Plackereien um Licht und Klarheit kommen, in ihrem Christenthum verkrüppeln und dadurch zum Spott und Hohn ihrer Verfolger und zum Aergernis werden. Auch hier gilt das Wort: „Ich habe es alles Macht, aber es frommt nicht alles.“

 Auch wenn und wo man das nicht zu befürchten hätte, bedarf es weiser Herzen und Hände. Es ist nicht genug, die falschen Traditionen und Misbräuche sammt ihren Nachtheilen und Sünden zu erkennen, sondern man muß das für die Verhältnisse richtige Positive einsetzen und bei den wandelbaren Dingen verhüten können, daß nicht etwa auch aus ihnen einmal wieder ein Joch erwachse, das für die Hälse der Brüder zu schwer würde.

 Was von der Freiheit der Kirche rücksichtlich der Adiaphora gilt, das gilt, versteht sich, noch viel mehr in Betreff solcher Dinge, welche dem Worte Gottes geradezu widersprechen. Es darf z. B. niemand die Kirche an ungläubige oder sonst gottlose Kirchenbücher, Gesangbücher, Catechismen u. s. w. binden, sondern dieselbigen müßen ohne Vorwurf von denen abgethan werden dürfen, die zur Erkenntnis kommen. Es liegt wenig und im genannten Fall gar nichts an der Uniformität der Kirche in Gebrauch von Büchern, Ceremonien und dergleichen; alles aber liegt am Heile der Seelen: Summa, utilitas omnis regula. Doch bedarf es auch hier weiser Herzen und Hände, und darf man, namentlich


    sichs vom Heiland zur Gnade ausgebeten, daß es wenigstens zu ihren Lebzeiten so bleiben möge. Die Folge davon war, daß die stillen und soliden Gemüther sich zurückzogen und die Verbeßerungsversuche in die Hände von Schwärmern geriethen, da man denn zuletzt allerseits Gott danken mußte, wenn sie wieder zu nichts wurden.

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     Unser Principium, das wir niemals ablegen wollen, ist: Die Gedanken und Ideen festzuhalten, bis der Heiland sie erweitert und alsdann beim Neuen so gelehrig und willig zu sein als zuvor beim Alten.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)