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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

Räthe gegeben hat, die ein kleines Volk auf grüner Aue weideten und durch den Ueberschwang liebevoller Seelen die damals auch noch geringeren Uebel ihrer Institutionen überwachten. Und was soll dann auch in anderer, in unserer gegenwärtigen Lage und bei geringer Hoffnung auf Beßerung ein Mann thun, der vielleicht alle Uebel fühlt, aber durch den heiligen Geist, der nach dem Wort der Wahrheit die Hirten und Bischöfe setzt, Pastor einer landeskirchlichen Gemeinde geworden ist? Was soll er machen, wenn er in der Zeit seiner Unwißenheit oder Unklarheit Hirte geworden ist? Wie mancher Mann würde nimmermehr eine Ehe eingegangen haben, wenn er zur Zeit der Verehelichung klar gesehen hätte. Nun er aber in der Ehe klar geworden ist, darf er sie brechen? Wenn der nicht sah, der doch die arme Heerde weiden und leiten sollte, was war und ist von der Heerde zu verlangen? So gewiss die Ehe zwischen Hirten und Heerde eine göttliche ist, so gewiss darf der Hirte die Heerde nicht freiwillig verlaßen, auch wenn sie auf dem Territorium einer verderbten Landeskirche weidet. Etwas ganz anderes, eine solche Gemeinde annehmen und sie behalten!

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 Uebrigens bin ich dennoch überzeugt, daß auch Landeskirchen mancher Bewegung zum Guten fähig wären, wenn mehr fromme, weise, getroste, ich sage nicht Kirchenbeamte, sondern Pastoren da wären. Es ist ein Jammer mit der Geistlichkeit, und wahrlich mit dem Nachwuchs nicht weniger, als mit dem sterbenden Geschlechte. Sie, ihr oftmals gemeiner und serviler Sinn, dem eine derbe Predigt Luthers über Bauchchristenthum gehörte, verschulden das allermeiste. Sie erfahren ja alle Tage die Noth der Gemeinden, aber sie erlahmen daran und werden stumpf an Gewißen und Gefühl, statt Gott und Menschen anzurufen. Die Behörden des Landesherren, die von ihm eingesetzt sind, die herkömmlichen Traditionen und die verbrieften Satzungen durchzuführen, sollten sich, so weit sie selber das Beßere wollen, vor allen Dingen auf die Geistlichkeit des Landes stützen können. Wie sollte z. B. in einer Landeskirche, deren Satzungen zur Staatsverfaßung gehören, eine Beßerung erzielt werden, wenn ein Landtag mit allen seinen Confessionen und Religionen herein zu reden hat? Wird ein solcher im Interesse der lutherischen Kirche beschließen, wenn auch ein einsamer Antrag eingebracht würde? Wie erlahmt da beim ersten Blick in die Umstände die Hoffnung auf eine wahre

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.8.2018)