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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

Anhang zu Seite 23.
(Aus meinem Weigerungsberichte.)

 Nach den weltlichen Gesetzen kann sich N. N. wieder verheirathen; ich meinerseits hielte es auch für beßer, daß er wieder heirathe, da er ohnehin mit einer dritten Weibsperson während der langen Zeit der Ehescheidungsklage zwei außereheliche Kinder erzeugt hat; allein diese neue Ehe im Namen des Dreieinigen einzusegnen, die Trauung zu vollziehen, vermag der Unterzeichnete nicht und zwar aus folgenden Gründen:

 1. Eine Scheidung wegen böslicher Verlaßung kann ein Diener Christi nur in dem vom Apostel selber 1. Cor. 7. bezeichneten Falle anerkennen, d. h. in einem Falle, welcher mit dem des N. N. nicht die mindeste Ähnlichkeit hat. Der Unterzeichnete weiß wohl, was man von juristischer Seite für den Scheidungsgrund wegen böslicher Verlaßung gesagt hat, und gesteht gerne zu, daß es Fälle geben kann, in denen man wünschen möchte, mit der juristischen Anschauung sich zufrieden geben zu können; allein es ist eine andere Frage, was man von dem pur menschlichen, und was man von dem christlichen und kirchlichen Standpunkte zu urtheilen und zu thun hat, und ich bekenne mich daher hiemit als Christ und Pfarrer unfähig, Personen zur zweiten Ehe einzusegnen, die wegen böslicher Verlaßung geschieden sind.

 2. Das Ehegericht hat alle Schuld dem Weibe zugesprochen und nach den Acten wird das auch ohne Zweifel ganz richtig sein; allein so wenig ich die geschiedene Ehefrau des N. N. von Schuld freisprechen möchte, so ist doch der Hergang, den ich selbst durchlebte, von der Art, daß meine persönliche Ueberzeugung und vielleicht die Ueberzeugung der ganzen Gemeinde N. in solchem Maße eine andere ist, daß sie es in diesem Falle wagen muß, auch gegenüber einem richterlichen Erkenntnis sie aufrecht zu erhalten und auf die amtliche Handlungsweise des Pfarrers bei der N.’schen Wiederverehelichung einzuwirken.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)