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Weder ER noch Seine Knechte wollen verderben. ER und sie wollen retten, ja, gerade weil sie die Leute nicht wollen verderben lassen, weil sie ihnen ein ewiges Heil nahe bringen wollen, gerade darum predigen sie das Gesetz und gerade das Gesetz muß den Anfang des Heils schaffen und den Heilsweg eröffnen. Wollet ihr wissen, wie, so höret:

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 Durchs Gesetz soll der Mensch die Gefahr erkennen lernen, in welcher er schwebt. Er soll in dem Gesetz und der Gesetzespredigt wie in einem Spiegel die wahre Gestalt seiner Seele erkennen, weil er ohne das Gesetz und die Gesetzespredigt sie nicht kennen lernen kann, weil sein Gewissen nicht hell, nicht ausgebildet, nicht untrüglich genug ist, ihm richtigen Bescheid über sich selbst zu geben. Er soll in dem Gesetze nicht bloß sehen, wie viele Flecken und Sünden an seinem Leben kleben, er soll auch sehen, daß er sich selbst nicht helfen kann, daß er sich selbst nicht bessern, nicht reinigen, nicht waschen kann, er soll im Gesetz den drohenden Zorn und Fluch Gottes erkennen, er soll erkennen, daß Gott ihm mit Recht zürnen, drohen und wirkliche Strafe auflegen kann, er soll den Zorn und die Strafen Gottes nahe erkennen, nahe, wie den Tod, von dessen Ankunft auch niemand zu sagen weiß, obschon sie allezeit nahe ist. Aber warum soll er die Gefahr erkennen? Nun darum, damit er sich nach Hilfe umsehe und für Hilfe empfänglich werde. Die Erkenntnis der Sünde und die Aussicht der nahen Strafe soll ebenso zu einem Helfer führen, wie die Erkenntnis einer Krankheit zum Arzte treibt. Für den Arzt aber braucht der Kranke nicht mehr zu sorgen, sobald er seiner bedarf, ist er da, so braucht auch der nicht für Hilfe und einen Helfer zu sorgen, welcher die Not erkennt, denn für den hat Gott gesorgt, der war da, ehe wir geboren waren, nämlich JEsus Christus, der Herr. Eben weil Gott des Sünders Tod nicht will, sondern daß er sich bekehre und leben möge, eben deswegen läßt er ihn durch die Predigt von der Sünde erschrecken, damit er nach Hilfe frage und dann den allezeit gegenwärtigen Heiland im Glauben fasse. Je mehr der Mensch seine Gefahr erkennt, desto eilender wird er sich zu Christo wenden, desto mehr wird er sich nach Ihm sehnen, desto brünstiger nach Ihm rufen,