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 Es sei ferne, den theuern Brüdern in Missouri den Sinn und Willen zuzuschreiben, als wollten sie geflißentlich die Sache der heiligen Kirche dem Volke, der Stimmenmehrzahl überliefern. Nicht bloß wehren sie sich hiegegen in manchen Stellen der mehrfach angeführten Actensammlung (z. B. p. 9.), sondern auch ich bin bereit, sie gegen dergleichen Vorwürfe zu vertheidigen. Viele tatsächliche Beweise stehen mir hiezu zu Gebote. Wollte Gott, es würde allenthalben nicht bloß in Nordamerica, sondern auch bei uns in Deutschland so die Ordnung wargenommen und aufrecht gehalten, wie es trotz aller Freiheit in der großen Synode von Missouri, Ohio und andern Staaten geschieht. Ist sie doch, meines Wißens, die einzige, welche zur Wahrung guter Ordnung und zur Abhilfe plötzlicher und dringender Gebrechen ihrem Präses auch außerhalb der Synodalzeit wesentliche bischöfliche Rechte in die Hände legt! Bei aller Hochachtung und Liebe vermag ichs aber doch nicht zu verhehlen, daß mir der lutherische Grundsatz von der Befugnis der Gemeinden oftmals auf eine gefährliche Weise hervorzutreten scheint, daß die theuern Brüder nicht bloß Stellen aus Luthers Werken, die wahrlich nicht für americanische Verhältnisse geschrieben sind, sondern auch eigene Gedanken veröffentlichen, welche nicht den Sinn für christliche, sondern die americanische Lust und Neigung für fleischliche Freiheit in kirchlichen Dingen nähren können. Wenn schon auch P. Grabau bei seinen Aeußerungen manchmal die andere, gleichfalls berücksichtigenswerthe Seite vergißt, so habe ich doch die Ueberzeugung, daß es namentlich für nordamericanische Verhältnisse bei Weitem gerathener ist, mit Grabau die eigentlichen Pflichten des geistlichen Priesterthums hervorzuheben und selbst das unabweisbare Recht jedes Christen, ja jedes Menschen, sich vor Verführern und geistlichen Wölfen zu hüten, nur mit demjenigen Maße von offenherziger Vorsicht zu lehren, welches bei dem ungebundenen americanischen Sinn erforderlich scheint. Stellen, wie z. B. die p. 32. (z. B. „Wo sich’s gewis von selbst ergibt“!?) sind, und zwar gerade in ihrem eigenthümlichen Zusammenhang, der Misdeutung zu sehr ausgesetzt, als daß man sie gerne läse. Eben so ist es mit den Citaten aus Luther. Viele Worte, die Luther gegen das Amt der römischen Bischöfe mit allem Rechte gebrauchen konnte, erleiden mindestens eine starke Modification, wenn sie auf das rechte Amt rechtschaffener Diener Gottes in der lutherischen Kirche angewendet werden. Wenn Luther im Citate p. 32. die Kirche von den Bischöfen trennt und – in sehr zweifelhafter Auslegung des Κυρία im Anfang der 2. Ep. St. Johannis – die Kirche eine Κυρία oder Herrscherin nennt, die sich gegenüber den Bischöfen geltend machen könne, – oder wenn er im Citate pag. 34. „das Volk“ geradezu „die Kirche, die Königin“ nennt etc. etc.; so klingt das allerdings sehr americanisch – per hyperbolen ohne Zweifel, in welcher Luther so oft denkt und redet; aber wahr und weise geredet ists nicht, zumal nicht römischen Bischöfen gegenüber, sondern gegenüber den armen lutherischen Pastoren, die, wenn auch nicht im Bereich der Synode unsrer Freunde, doch anderwärts in Nordamerica so gar oft wie Hirten gemiethet und wie Hirten entlaßen werden. Ich gestehe, daß ich auch beim Lesen der Synodalverhandlungen, welche mir so viele Freude machen, doch oft herzlich betrübt wurde, wenn ich den Einfluß der Gemeinden gar so stark hervortreten sah, –

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/113&oldid=- (Version vom 1.8.2018)