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 So feindselig man auch dem Sinn und Streben des Verfaßers dieser Zeilen gegenüberstehe; man wird doch nicht leugnen können, daß es mit der lutherischen Kirche in Deutschland so geworden ist, daß es sich auch da, wo die gesetzlichen Formen noch fehlen, im Grunde nicht anders verhält. Was wahr ist, ist wahr, auch wenn es traurig ist; Beweis und Beleg dürften leider so leicht herbeizuschaffen sein, daß der Verfaßer das Geschäft einem jeden Leser selbst überlaßen kann.

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 Diese große Wendung der Dinge kommt nicht von ungefähr; sie ist eine Frucht der Zeit, welche, langsam herangewachsen, nun eben zur Reife kam und wie ein Apfel vom Baume fiel. Es ist aber den deutschen Kirchen gegangen, wie sie es verdienten; nach dem sie waren, ist ihnen geschehen. Des HErrn Gericht hat an seinem Hause angefangen. Man besehe nur, wie es allenthalben in den Landeskirchen steht! – Zwar liegen jetzt grade die vor einem Jahre wild bewegten Massen in einem dumpfen Schweigen; aber waren nicht die Namen derer, die in brausenden Wogen emporgiengen, in unsern Kirchenbüchern eingezeichnet? Es waren unsre Täuflinge und Confirmanden, unsre Zuhörer, welchen wir oft die Pflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit eingeprägt hatten, – unsre Beichtkinder, welche wir absolvirt, die Abendmahlsgenoßen, denen wir Christi Leib und Blut gereicht hatten; diese vergaßen alle kirchliche Wohlthat und schwollen zum Strom des Verderbens an. Die Gährungsstoffe waren nicht auf christlichem Boden gewachsen, die Agitatoren waren zum Theil weder Lutheraner, noch überhaupt Getaufte, die Massen waren verführt und verblendet: dennoch aber müßen wir zugestehen, daß die Gemeindeglieder, welche sich vom Strome mit fortreißen ließen, von Jugend auf klare, einfache, allgemein verständliche Gottesworte wußten und kannten, oder doch gewis wißen und kennen konnten, mit denen es leicht war, die Verführung wie mit zweischneidigen Schwertern abzuwehren. Auch fehlte es nicht an manchen treuen Predigern und Seelsorgern, welche, unbeirrt vom Geiste der Zeit, treulich riefen und Gottes heiliges Gebot: „Seid unterthan“ mit Macht erschallen ließen. Es wurde auch wirklich manch irrendes Gewißen zurechtgewiesen und theure Seelen errettet; aber im Ganzen? Was haben wir, was hat Gottes Wort im Ganzen auf unsre Gemeinden gewirkt? – Wir können es ja nicht leugnen, daß es meist ohne uns Ruhe geworden ist, und daß es nicht die Waffen unsrer Ritterschaft waren, welche Ordnung schafften. Es ist wohl überhaupt mit der gegenwärtigen Ruhe nicht weit her; nur wenige sind vielleicht gebeßert; auf Herzensbuße und innerer Umkehr beruht die Aenderung nicht; es glüht allenthalben unter der Asche die alte Bosheit. Die Jahre 1848 und 1849 sind von einander sehr verschieden; innerlich sind sie am Ende beide voll Raubes und Fraßes. Und gleichwie ein junger Knabe Rinder und Stiere weidet, bis sie einmal ihre Kraft inne werden und gegen ihn brauchen; so gehen wir Pfarrer, scheint mirs, unter den Maßen, bis sie sich einmal gegen uns wenden und den Hirtenstab sammt den Hirten zerbrechen. Vielleicht fehlt dem Pöbel in der Kirche nichts, als ein starkes, von der Hölle entzündetes Wort und ein Anführer, dem aus dem Abgrund Kraft gegeben ist,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)