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Städten – und auf dem Lande, ja, da gibts ganze Gemeinden, welche, trotz herrschenden Abfalls und grober Sünde, dennoch ganz regelmäßig Mann für Mann sich zu Gottes Tisch drängen. Und wir stehen am Altare, wir sehen, wir kennen diese Schaaren – und sollen ihnen des HErrn Leib und sein theures Blut austheilen! – Hier, ja hier bei Absolution und Abendmahl, da fühlen wir, wie es in den Gemeinden steht, und wie unser HErr und wir mit Ihm zu ihnen stehen! Hier ist unser größter Schade, unser tiefster Jammer!

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 Man hat in neuerer Zeit zuweilen den Abendmahlsgenuß von der Absolution unabhängig machen wollen, und gewis, abgesehen von dem objectiven Werthe des Gedankens, es ist Methode in ihm. Es kann ja freilich scheinen, als hätte der Pfarrer eine große Last der Verantwortung weniger, wenn er nur das Abendmahl auszutheilen und nicht auch zu absolviren hätte. Indes tief würde die Ruhe nicht greifen, welche aus der Durchführung dieses Gedankens käme, und lang würde sie nicht dauern. Nicht bloß die Diener des Altars, auch die Communicanten würden es bald merken, daß in den Worten der Distribution („Nimm hin und iß“ etc.) eine Absolution eingewickelt liegt. Der beim Abendmahl gewesen, wird sich kraft dieses Sacraments absolvirt wißen, auch wenn ihm zuvor keine besondere Absolution gesprochen ist. Und hätte er Unrecht? Hätte er Unrecht, wenn er behauptete, der Pfarrer habe ihn nicht bloß mit Gottes Wort, sondern auch mit Gottes That, dem hl. Sacramente, dem Leib und Blute Christi absolvirt? – Ueberdies wäre ja der confessionelle lutherische Brauch gebrochen, denn die lutherische Kirche will ja zeug ihrer Confession niemand unverhört und unabsolvirt zu Gottes Tisch laßen. Was hilfts also? Wir absolviren doch auf alle Fälle diejenigen, welche wir zu Gottes Tisch laßen. Wir absolviren also und communiciren also – und können nicht anders. Und wen absolviren und communiciren wir? Sieh nur zurück auf deine Schaaren, wende dich nur vom Altare auf sie hin! Kennst du sie? Der städtische Pfarrer kennt vielleicht viele nicht. Besteht doch häufig keine Controlle, ja nicht einmal eine Anmeldung. Es könnten Juden und Muhamedaner darunter sein, du wüßtest es vielleicht nicht! Du kennst aber auch viele, es kennt sie jedermann. Es sind viele offenbare, unbußfertige Sünder, die in frechem Sündenstolz feierlich zu den Stufen schreiten, vor denen sie beben sollten. Da ist außer ihrem Dasein, welches kein unzweideutiges Zeugnis gibt, kein Zeichen der Reue und Buße, kein vernehmliches, abgesondertes, ihr Leben betreffendes Bekenntnis, kein kundgegebener Entschluß der Beßerung, kein Pfand guter That, durch welches der gebeßerte Wille beglaubigt wäre. Und doch gehen sie alle zum Altare, selbst da, wo man den Grundsatz, daß kein offenbarer unbußfertiger Sünder zu Gottes Tisch gehen solle, in der Theorie gelten läßt. – Es ist für den liebevollen Beichtvater schon ein großer Jammer, Beichtkinder zu haben, von denen man zwar nichts besonders Böses, aber auch nichts Gutes weiß. Man sollte ja von Christen Gutes wißen oder doch leicht erforschen können, – und man fühlt es tausendmal, daß die uns anvertrauten Schafe großen Theils so gar unbeglaubigte und unbezeugte, thatlose, todte Christen sind. Man weiß manchmal an einem Menschen keine einzelne, hervorstechende

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)