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Zeugnisses gehabt hätten, und das wären nicht wenige gewesen; der Riß wäre klein, der Gewinn groß, die Zeit, die böse Zeit, wäre treulich ausgekauft gewesen. – Vielleicht bin ich ganz im Irrthum, ich wills nicht leugnen und nicht zugeben, und die Zeit ist ohnehin vorüber, wo so etwas viele Herzen bewegt haben würde. Es ist nun alles anders geworden.

 Je weniger nun dazumal von Seiten der Kirche öffentlich geschah, desto unaufhaltsamer griff das Uebel um sich. Wie viele, sonst beßere, der Kirche zugethane Männer fanden das Schweigen der Kirche unbegreiflich und wendeten nun ihr Ohr desto lieber dem interessanteren und verführerischen Ton der Politik, oder gar der Demokratie zu! Wie viele vergaßen ihr ewiges Heil und ließen sich von all den tausend Winden, welche damals im Vaterlande wehten, hin und hertreiben, um keine Ruhe zu finden und den einzigen Halt zu verlieren, welchen der Mensch bei der Ungewisheit alles Zeitlichen haben kann. Die wenigen festeren Seelen hatten einen harten Stand. So wie die Gemeinden sind, üben die Bösen, auf die Masse der Trägen und Gleichgültigen mit Recht vertrauend, (denn wem wenden sich diese zu, wenns gilt?) immer einen teufelischen Terrorismus gegen die Beßeren. Das kam nun in der schlimmen Zeit um so kräftiger empor. Unterdrückung der Christen war doch gar oft und viel ein Loosungswort, und man sagte es allenthalben, daß es nun mit dem alten Christenthum zu Ende gehe. Aus Mangel an Zusammenschluß wurden die beßeren Gemeindeglieder statt kräftiger lauer, fahrläßiger, leichtsinniger, weltlicher gesinnt. Sollte man die Belege zu diesen allgemeinen Sätzen verlangen, so würde man sie schwerlich schuldig bleiben müßen.

 Bei solchen Aussichten und Erfahrungen kam man an verschiedenen Orten immer wieder auf den Gedanken zurück, die, welche Anfänge eines neuen Lebens hatten, zusammenzufaßen und durch ein mehr geistliches Zusammenleben gegen die Ansteckung der Zeit zu bewahren. Wir konnten ja überall nur schlimme Folgen der Bewegung von 1848 sehen! Die Gemeinden hatten den Muth gefunden, entschloßenen Schrittes die Bahn des Eigennutzes zu gehen; die gehen sie seitdem, und das war, wo sie überhaupt wußten, was sie wollten, am Ende die ganze Politik, deren ihre Mehrzahl fähig war. Dagegen und gegen die gesammte Verweltlichung des Lebens wollte man zusammentreten, dem Leben die höhere Weihe bewahren und für den Gedanken wirken, daß an dem ewigen Heile mehr läge, als an Erreichung aller, auch der edelsten zeitlichen Güter. – Von dem bekannten Aufsatz in der Evangelischen Kirchenzeitung, dessen auch Pfarrer Kraußold in seiner Schrift Erwähnung thut, wußte ich nichts. Ich bekam ihn erst viel später zu Gesicht. Ich hatte meine, hernachmals theuern Freunden vorgelegten Einigungspunkte (Zucht, Gemeinschaft, Opfer), längst beim Studium der Schrift gefunden. Indem ich mich der Ueberlegung hingab, ob ich nicht näher stehenden Freunden einen Vorschlag der Vereinigung zur Ausführung jener drei Grundgedanken apostolischen Lebens machen sollte; schien es mir je länger je mehr, als könnten auf diesem Wege am besten auch für eine kommende Katastrophe die Elemente eines

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.8.2018)