Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 1 (2. Auflage).pdf/238

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Kanaans auf der Kanzel, welche über dem Versuch die Ausdrucksweise der Väter nachzuahmen, nothwendig manieriert wird, und durch das altmodische Gewand, in welchem der Gedankeninhalt hier erscheint, namentlich auf gebildetere Zuhörer einen fremdartigen Eindruck macht. Löhe verlangte für die Predigt eine natürliche, der eigenen Persönlichkeit entspringende und der gebildeten Sprache des Jahrhunderts angemessene Redeweise. So finden wir denn auch in seinen sieben Predigten eine durchweg natürliche, selbständige, von allem Schablonenmäßigen freie Art der Rede. Dasjenige aber, was in den Augen so vieler diesen Predigten einen besonderen Reiz gab, war die jugendliche Frische und blühende Phantasie, die in ihnen waltet. Wir können es uns nicht versagen, als Probe von seiner Kunst des Ausmalens und der lebhaften Vergegenwärtigung eine Stelle aus einer dieser sieben Predigten mitzutheilen, in welcher der Anbruch des jüngsten Tags in folgender Weise geschildert wird:

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 „Liebste Seelen! der Tag des Herrn wird kommen, ohne daß es jemand ahnt. Es wird an jenem Tag Alles seinen Gang gehen in größter Sicherheit wie alle Tage. Es wird die Sonne aufgehen, still und jung, eilend, ihr liebes Tagwerk zu vollenden. – Die Erde wird ihr Vermögen geben, je nach der Jahreszeit. Die Bäche werden in die Flüsse, die Flüsse meerwärts eilen wie alle Tage. Die Menschen werden an ihr Tagewerk gehen und auf den Abend hoffen: der Greis, der Mann, sie werden leiden oder thun wie’s ihnen aufgelegt ist. Die Kindlein eilen in die Schule, für ein langes Leben sich Kenntnisse sammelnd. Kurz, wie heute, so am jüngsten Tage! Niemand merkt, daß die Stunde vor der Thüre ist, welche der Vater seiner Macht aufbehalten hat. Da mit Einem Male bricht das Licht der Ewigkeit in die Zeit herein: des Erzengels