Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 2.pdf/52

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Immer stiller wurde sie; doch erkannte sie meine Stimme bis ans Ende, redete auch selbst noch oft mit mir im Delirium, forderte mich zu diesem und jenem auf, ,den Christbaum, da ja Weihnachten sei, anzuzünden‘ etc. Endlich wurde sie ganz stille und schlief, wie es schien, einen natürlichen Schlaf mit geschlossenen Augen. Die Drüsengeschwulst, welche wir Tag und Nacht zu erweichen bemüht waren, schien aufzugehen. Man überließ sich der Hoffnung, da eben der Tod an der Thüre pochte.

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 „Von vielem Wachen, leiblicher und geistiger Anstrengung über die Maßen müde worden, schlief ich auf dem Sopha ein, und die Wärterinnen thaten nicht, wie ich ihnen geboten hatte, sie weckten mich nicht. Als ich erwachte, war es hell, und mich überfiel ein Schrecken, als ich bemerkte, daß das arge Fieber wieder durch den kranken Leib hinjagte. Ich hatte gehofft, – denn es war Freitag, – Betstunde halten und dem Herrn danken zu dürfen, nachdem ich die ganze Woche außer sacramentlichen Handlungen nichts Amtliches vorgenommen hatte. Wie war meine Freude zu nichte! – Am Vormittag ruhte das Fieber einige Augenblicke. Zweimal sah sie mir mit aller Freundlichkeit ihres lieben Angesichtes in die Augen. Darauf sagte sie bittend: ,Ach, halt mich! Ach, Mutter! Ach, Wilhelm!‘ Dann lag die Zunge gelähmt im Munde. – Dennoch hoffte und hoffte ich, bis ich nicht mehr konnte. – Schon in der Nacht zuvor hatte mich einmal der Gedanke durchzuckt: ,Bisher hast du Alles mit ihr gelitten, nun geht sie die Leidensbahn allein, ist los von dir!‘ Nun aber trat der Gedanke mit gebieterischer Notwendigkeit hervor. Ich ergoß mein schmerzenreiches Herz in Gebete, die ich nicht mehr weiß. Nur das weiß ich, daß ich sie Keinem, Keinem überlassen konnte, übergab und opferte, als Ihm, unserm HErrn Jesu, – und daß ich betete, Er wolle mich durch sie aufnehmen in die ewigen Hütten. –

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/52&oldid=- (Version vom 1.8.2018)