Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 3.pdf/121

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allen nachfolgenden Zeiten unterscheidet, die rege, lebendige Hoffnung auf die erste Wiederkunft des HErrn und die tiefe, reiche Einsicht in die letzten Dinge. Das wurde freilich alles bald anders. Der Edle, der über Land gezogen war, verzog seine Wiederkunft, die Apostel entschliefen, die großen Verfolgungen, welche im römischen Reiche und um dasselbe her erwachten, lenkten die Augen der Getreuen auf ein näheres Ziel, nämlich auf die Glorie des Märtyrertodes, durch welchen man ohne Wiederkunft des HErrn, der Seele nach, zu Ihm und Seinen Himmelsfreuden gelangte. Und als endlich die Verfolgungen aufhörten, die römischen Kaiser und die Könige der Erde ihre Knie vor dem Dorngekrönten beugen lernten, die Menschheit Völkerweise zu den Thoren der heiligen Kirche eindrang und die Staaten der Welt christlich zu sein versuchten, in einem gewissen Maße christlich wurden: da schien das Reich bereits gekommen, Christus mit seinen Heiligen bereits zu herrschen, das Sabbathjahrtausend der Welt herzugeeilt, die Hütte Gottes unter den Menschen aufgeschlagen. Die Hoffnung einer (ersten) Wiederkunft, der Antichristus und der Abfall, durch den sie herbeigerufen wird, trat in den Hintergrund, und unbegreiflicherweise bemerkte man nicht, wie eben damit die Liebe erkaltete, der Glaube matt wurde und das ganze christliche Wesen immer mehr von Mängeln und Sünden belastet wurde, je mehr das Abendrot der Welt und das Morgenrot des Reiches Christi sich auf die Grenzen einer ungemessenen Ferne zurückzog. O Jammer und großer Schade! Da rief kein Apostel mehr in die Welt herein: „Was hat der Tempel Gottes für eine Gleiche mit den Götzen?“ oder: „Der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft.“ Da schlossen die unversöhnlichen Gegensätze einen ungöttlichen Frieden, Welt und Kirche durchdrangen einander, und während es schien, als sei damit die Deutung gegeben jenes Gleichnisses von dem Sauerteig, der die drei Scheffel Mehl durchdringt, fand sichs je mehr und mehr, daß der ganze

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/121&oldid=- (Version vom 1.8.2018)