Einige Wochen, nachdem Käthe den neuen Dienst angetreten, kam die Herrin abends in die Küche und übergab ihr den uns bekannten Brief mit der Weisung, ihren früheren Auftrag auszuführen, d. h. den Brief dem Herrn zu übergeben, mit dem Hinzufügen, ein Bote habe ihn gebracht.
Käthe wagte nicht, da sie einmal in die ganze Sache verwickelt war, zu widersprechen oder ungehorsam zu sein.
Wie damals also übergab sie, als sie den Samowar hereinbrachte, den Brief dem Herrn, nur mit dem Unterschiede, daß sie jetzt auf dessen Frage wie ein Echo die Worte wiederholte: „Ein Bote hat ihn gebracht“…
Auch diesmal glückte das Manöver…
Bald darauf verließ die treulose Frau wieder das Haus des Gatten, um in die Arme des Geliebten zu eilen…
Unterwegs bemerkte Käthe, die sie wie gewohnt begleitete, in Julias Haar einen der Fliederzweige, den sie aus dem Rahmen des Heiligenbildes entnommen hatte.
Um keinen Preis der Erde hätte Käthe dies getan. Was Gott gehört, kommt allein ihm zu, und niemand hat das Recht, sich mit Blumen zu schmücken, die man Gräbern oder Heiligenbildern dargebracht.
Als die Droschke die Herrin davon getragen, stand Käthe noch lange in tiefem Sinnen vor der Kirchenmauer, ohne auf die Anreden der vorübergehenden Soldaten zu achten.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/107&oldid=- (Version vom 1.8.2018)