Hand, in dem sie durch die Brille eine Andacht las, oder Buß-Psalmen.
Käthe besaß kein Gebetbuch, konnte aber, wenn auch nur notdürftig, lesen.
Ein Buch ist kein Glycerin und die Herrin würde sich nicht ärgern über ihre bescheidene Bitte, ihr irgend ein schönes oder frommes Buch zu borgen. Dann setzte sie sich, wie die gräfliche Köchin, ans Fenster und läse nach Herzenslust, aber nur ganz leise, um den Herrn ja nicht zu stören, wie damals, als er sie beim Gesange überfiel.
Dann verginge ihr der Sonntagnachmittag wenigstens schneller!
Nachdem sie sich dies so überlegt, begab sie sich in das Schlafzimmer, wo Frau Julia, wie gewohnt, mit offenen Augen auf dem Bette lag.
Für Julia unterschied sich der Sonntag von anderen Tagen nur dadurch, daß Budowski ihr erlaubte, ihr dunkelgrünes, mit Samt besetztes Kleid anzuziehen und daß er sie morgens zur Kirche begleitete.
Dieses Kleid trug sie dann den ganzen Tag und lag, ohne auf das Nörgeln des Gatten zu achten, daß sie damit nur den Samt verknülle, völlig angekleidet auf dem Bette.
Als Käthe vor ihr stand, öffnete sie die wie immer schläfrigen Augen und blickte mit einer Art von Erstaunen in das gerötete Gesicht des Mädchens.
Budowski putzte eben, wie stets zu dieser Zeit, die
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/118&oldid=- (Version vom 1.8.2018)