Sofort sprang der Taubstumme auf und warf sich vor ihr auf die Knie, um ihr mit der vom Gips geweißten Hand jene Tränen zu trocknen. So empfänglich war sein mitleidiges Herz für fremden Schmerz. Wie mancher Hund, so konnte auch er keine Tränen und keinen Menschen leiden sehen. Das Pfauengekreisch, mit dem er Käthe von seinem Mitgefühl überzeugen wollte, hatte in der Tat etwas Komisches.
Käthe aber lächelte kaum durch Tränen beim Anblick seiner Grimassen.
Dabei machte er die possierlichsten Sprünge zum Ergötzen einiger zerlumpter Straßenjungen, die, wie aus der Erde gewachsen, plötzlich auftauchten und laut auflachten über die Affenmienen des Taubstummen.
Verwundert blickte Käthe nach dieser Gruppe von Kindern, deren jüngstes kaum ein Jahr zählen mochte. Ein etwa zehnjähriges Mädchen hielt es auf dem Arme. Bleich und abgezehrt, ließ es den fast kahlen Kopf von fast Kürbisgröße hängen wie ein Idiot.
Käthe empfand eine sonderbare Beklemmung. Auch sie sollte einst solch ein Kind haben, und lag auch ihre Stunde noch fern, so kam doch der Tag, an dem solch ein Kopf sich auf die Welt drängen und zu essen verlangen wird.
Nach und nach verlief sich der Kinderschwarm und durch die Fenster der weißen Grabmäler
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/380&oldid=- (Version vom 1.8.2018)