Eine Blutwelle überströmte Käthes Antlitz. Ohne den Scherz ganz zu begreifen, verstand sie doch im Nu dies Lächeln und diesen Blick und preßte mit nervöser Hast ihre Lumpen an sich.
Wie? So auffällig also sah sie schon aus, daß die Leute ihr nachgafften, ihr diese Schande in das Gesicht warfen oder sie auslachten? Wie von Sinnen lief sie hinaus aus dem Atelier, ohne sich noch einmal umzusehen.
Noch niemals fühlte sie ihre Schmach so tief wie jetzt. Bisher glaubte sie, ihr Zustand sei nur ihr selbst bekannt und ihre Schande noch nicht auf der Stirn ausgeprägt. Jetzt aber sahen und wußten es schon alle Leute! Wie sollte sie sich vor deren Spott und Verachtung verbergen?
Und, wenn das Kind auf die Welt käme, was sollte sie mit ihm anfangen und wie es ernähren?…
Als Käthe die Straße betrat, war es schon stockfinster. Lange kauerte sie an der Erde und zögerte und wagte kaum weiterzugehen und den Leuten in die Augen zu sehen.
Erst als sie sich mitten im Straßenlärm befand, mußte sie doch einen Entschluß gefaßt haben. Denn mit Fieberhast eilte sie nach der Vorstadt, in der sie früher gewohnt hatte. Mit glühenden Wangen, ihre Lumpen an sich pressend, lief sie so schnell, daß sie alle Leute anstieß.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/404&oldid=- (Version vom 1.8.2018)