Aus dem Lande meiner Geburt ging ich wieder zurück in das angrenzende Polen, wo meine Mutter lebte. Ich will meine Beschreibungen abkürzen, mein erster Brief war zu ermüdend; man wird lächerlich durch Erzählungen nichtsbedeutender Kleinigkeiten. Ich wiederhole nur noch den wichtigen Ausruf, daß ich frei war! Aber nicht lange: meine gute Mutter wollte mich zum zweiten Mal verheirathet sehen; ich war noch jung, und von dem Segen meiner liebreichen Schwiegermutter war mir noch ein großes Glück geweissagt worden. Die rechtschaffene Frau wußte nicht, welche steile Anhöhen meine Geduld übersteigen mußte, ehe sie den Ausgang ihrer wünschenden Prophezeihung erleben und sich darüber freuen könnte. Die Vorsehung ergriff das härteste Mittel, mein Herz zu prüfen und meinen Verstand zu schärfen; sie ließ geschehen, daß es einem Manne, der längst an seinem Glück verzweifeln mußte, einfiel, mich zu wählen. Er war nicht viel über meine Jahre und seiner Handthierung nach ein Kleidermacher [1]; sein äußerliches Ansehen war nichts für meine Wahl. Aber genug, er gefiel meiner Mutter; sie wiederholte ihre Beschwörungen beim Verlust ihrer mütterlichen Gunst und ihres Segens. Es ward mir unbeschreiblich sauer, meinem Herzen diese Gewalt anzuthun; ich fand in den Gesichtszügen meines Liebhabers etwas so Widersprechendes und Wildes, daß mir schauderte. Doch das ehrwürdige Anrathen und der halb göttliche Befehl einer Mutter vermochten mich, meinen Neigungen entgegenzuhandeln; ich überredete mein Herz, sagte ja und ward auf lange niederdrückende Jahre gefesselt. Mein neuer Mann führte mich in eine mehr gesittete polnische Gegend; aber ich wußte nicht, daß die Armuth dicht hinter meinen Schritten herging. Frauenstadt war der Ort, der mich aufnahm. Die ganze Welt lebte damals im Taumel einer goldenen Zeit, nur für mich war Mangel bestimmt. Mein Mann, eins der sorglosesten Geschöpfe des Erdbodens, misbrauchte meine natürliche Gutherzigkeit, verzehrte mir Alles und war nicht bemüht, sich Arbeit zu verschaffen oder fleißig zu sein; ich, eine Feindin des Zanks, ertrug die Lasten der äußersten Dürftigkeit ohne Murren. Mein voriger Zustand, wenn ich auf ihn zurückblickte, war, bei aller Unterdrückung, dennoch Glückseligkeit gewesen; aber jetzt gab mir ein Mann Kinder, die meiner Versorgung überlassen blieben, wenn eine unselige Trinklust ihn fortriß. Der Winter des Jahrs 1751 und sein Nachfolger sahen mich alle Ungemächlichkeiten der Armuth leiden; schlecht bedeckt gegen den grimmigen Frost, ging ich und kaufte einzelne Bündel Holz, meine Kinder zu erwärmen. Nimmer soll es meine Seele vergessen, wie tief herunter ich gesunken, und wie hoffnungslos mein Zustand war. Die Verzweiflung gab meinem Manne ein, mich in den Mittelpunkt von Polen zu führen; ich flehte zum Himmel um Abwendung dieses Schritts, und er hörte mich. Ein Reisender kehrte in einem außerordentlichen Gasthause ein; die gütigen Bewohner wiesen ihn mit Arbeit zu meinem Gatten, und er ließ seinen Vorsatz
- ↑ Er hieß Karsch.
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/019&oldid=- (Version vom 1.8.2018)