verließ und, von Niemand als der Liebe begleitet, fortirrte. Man ward ganz Verwunderung, man fragte, ob ich den Milton gelesen hätte; ich sagte, daß ich kaum wüßte, daß Jemand in der Welt diesen Namen geführt hätte; ich hätte ihn irgendwo in einem Buche gelesen aber niemals seine Gesänge gesehen; man sagte mir, ich hätte ein kleines verlorenes Paradies geschrieben. Ein Prediger in dem benachbarten Lissa wollte mich näher kennen, er gab mir einen Wink, und ich eilte, mir mehr Freunde zu schaffen. Ich fand an ihm Alles, was man nur suchen kann; er hieß Vibig; sein Eifer, mein Freund zu sein, seine Rechtschaffenheit, sein redliches, offenes Herz lehrten mich in ihm einen Vater kennen, den mir die Vorsehung wiedergab für den meinigen, der schon lange Staub war. Er suchte mich auf alle Art zu ermuntern; durch seine Empfehlung wurden die reformirten Seniors Sitzkov und Cassius meine Freunde, und die beiden hoffnungsvollen jungen Männer Kloß und Zimmermann. Ich kann hier nicht alle die Häuser nennen, die mir mein ehrlicher Vibig zuwandte; genug, er war ganz stilles Vergnügen, wenn mir durch seine Veranstaltungen Hülfsmittel zuflossen wider die Dürftigkeit. Sein Haus war mein Zufluchtsort, wenn ich von den äußersten Sorgen gedrängt ward. O, warum mußte er schon aufhören dazusein, ehe ich meinen lebhaftesten Dank ihm sagen konnte! Engel müssen seiner Seele es vorsagen, daß ich sie liebe, und sie muß unter den Seelen glänzender Lehrer eine vorleuchtende Stelle besitzen. In den Händen seiner traurenden Witwe wird ein ganzer Ballen von Gesängen und Briefen sein, auch wird ihre Tochter eine beträchtliche Sammlung haben. Diese zärtliche Frau ward um einen Theil ihrer Glückseligkeit durch den Krieg gebracht; sie wohnte in der schlesischen Gegend, wo vor Alters das erschreckliche Treffen mit den Tatarn vorfiel. Die Krieger nahmen ihr Vermögen; nichts blieb ihr übrig als das Herz eines liebenden Mannes und dreier Kinder. Glücklich ist diese gefühlvolle Predigerfrau! Sie wird ihren Mann umarmen und ausrufen: Gott sei gelobt, die Feinde ließen mir Alles! Der unselige Krieg beraubte noch einen meiner Freunde, auch einen Prediger und Abkömmling des berühmten Herberger zu Frauenstadt. Er ist Derjenige, dem ich damals meine Büchersammlung danken mußte! Gern würde er Alles vergessen, was in Schlesien ihm der Feind nahm, wenn ihm eine geliebte Gattin wieder würde, die er nun länger als 10 Jahr ebenso betrauert als Young seine Lucia. Aber ich verirre mich zu weit von dem Pfade meiner Geschichte; ich kehre wieder um, Ihnen von mir selbst zu sagen, daß ich unermüdet war in den Übungen des Geistes. Ich mußte zugleich Hauswirthin und Magd sein; die Sorge des Brotes für den andern Morgen verfolgte mich auf meine Schlafstätte. Ich suchte zuerst mein unwilliges Kind zu stillen, und alsdann stillte ich mein Herz durch Überdenkung Dessen, was ich am Tage gelesen oder selbst geschrieben hatte. In Wahrheit, der vortreffliche Brite gefällt mir, wenn er die Composition, wenn er die schönen Wissenschaften Trostquellen im Elend des menschlichen Lebens nennt; meine Erfahrung ruft laut ihm Beifall zu. Mich überraschte der Schlaf bei einer Menge von Gedanken und verließ mich nicht eher, bis die Nacht dem gebietenden Auge des Tages gewichen war. Meine Zufriedenheit war sich immer gleich; bei schlechter Kost und einem wenig ansehnlichen Kleide wünschte ich nichts als meinem Mann Vernunft und ein bestimmteres Brot! Ich erwarb mir durch das tägliche Versemachen immer mehr Fertigkeit; es kam so weit, daß ich mich einstmals unterstand,
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/021&oldid=- (Version vom 1.8.2018)