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waren zahllose kirgisische Auls zerstreut. Der ganze Stamm der Ssara-Bagisch war offenbar hier beisammen, und sie hatten keine Ahnung von dem ihnen bevorstehenden Besuche. Friedlich weideten zahlreiche Heerden auf der ganzen Strecke zum See hin und versperrten den Weg. Ein Dolmetscher wurde mit 2 Kosaken zum Manap (Sultan) Umbet-Ala vorausgeschickt, um die friedliche Absicht der Ankömmlinge kundzugeben. Bald waren diese insgesammt beim Aul desselben angelangt, von wo ihnen eine geräumige Jurte gleichsam von selbst entgegenwandelte, sie wurde nämlich von Telenguten, d. h. Sklaven im Innern getragen.

So waren denn die fanatischen Feinde von neulich, die eben sich anschickten, wie man später erfuhr, den Asch, d. h. das Todtenfest zum Andenken an die im Kampfe mit den Russen Erschlagenen zu feiern, jetzt in freundliche Gastgeber verwandelt. Bei den Kara-Kirgisen steht überhaupt das Gastrecht in so hohem Ansehen, daß zu den Wettrennen und Wettkämpfen, welche ihre Asch und sonstigen Feierlichkeiten begleiten, stets auch die Batyr (Helden) feindlicher Stämme Zulaß erhalten. Aber wenn die Russen dem Frieden ihrer Wirthe nicht recht trauten, so diese noch weniger ihren Gästen; darum hielten sich auch der Ober-Manap Umbet-Ala und der Manap Dschantai klüglich fern. Im Namen des ersteren empfingen ein Oheim und zwei Brüder desselben die ungebetenen Gäste.

Umbet-Ala war ein Sohn des durch Tapferkeit und Unternehmungsgeist hochberühmten Urman, der mit dem Nachbarstamme der Bogu lange Zeit Krieg führte, obwohl die körperlich und geistig ausgezeichnete Tochter Urmans mit dem Sohne Burambai’s, des Ober-Manaps der Bogu, vermählt war. Die Geschichte dieses Krieges ist wichtig und interessant, nicht nur, weil in Folge desselben zuerst die Bogu, später auch die Ssara-Bagisch in den russischen Unterthanenverband traten und dadurch die Russen zu Herren des schönen Seebeckens Issyk-Kul machte, sondern auch, weil dieser Streit die internationalen Verhältnisse mittelasiatischer Nomadenstämme charakteristisch widerspiegelt.

Den ersten Anstoß zu den Feindseligkeiten zwischen zwei Stämmen liefert gewöhnlich ein Privatstreit. Dergleichen Streitigkeiten beziehen sich entweder auf bewegliche Sachen (bei Kauf und Verkauf, Entrichtung des Kalym), oder unbewegliche, auf die Grenzen von Land- und Weidestrecken. Die ersteren werden gewöhnlich von den Bijs (Beys) geschlichtet. Bij, Friedensrichter, ist entweder das Stammeshaupt selbst, oder ein Mann, um den sich freiwillig eine Gefolgschaft, oft von Angehörigen verschiedener Stämme, gebildet hat, und den die öffentliche Meinung des Nomadenlandes dieser Ehre für würdig erkennt. Es

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Verschiedene: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Vierter Band. Dietrich Reimer, Berlin 1869, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_IV.djvu/140&oldid=- (Version vom 1.8.2018)